BAG: Schutz behinderter, aber nicht schwerbehinderter Menschen

Nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) am 18. August
2006 kann sich auf die Schutzvorschriften für schwerbehinderte Menschen nach dem Sozialgesetzbuch
(SGB IX) nur berufen, wer unter den Anwendungsbereich dieses Gesetzes
fällt. Das sind schwerbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von wenigstens
50 oder die diesen durch ein förmliches Verfahren gleichgestellten Menschen. Wer
nicht zu diesem Personenkreis gehört, kann sich zur Abwehr einer Benachteiligung wegen
Behinderung ab August 2006 auf das AGG berufen.
Für die Klägerin, die ua. eine Ausbildung zur Gesundheitskauffrau absolviert hat, ist ein GdB
von 40 festgestellt worden. Ihrem Antrag auf Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen
war nicht entsprochen worden. Die Klägerin bewarb sich bei der Beklagten für die
Stelle einer Sekretärin des Chefarztes und wies dabei ausdrücklich auf den bei ihr vorliegenden
GdB von 40 hin. Die Beklagte besetzte die Stelle mit einer anderen Bewerberin, ohne
die Bestimmungen des SGB IX zum Schutz von schwerbehinderten Menschen beachtet oder
die Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben. Die Klägerin sieht sich als
Behinderte benachteiligt und verlangt von der Beklagten eine Entschädigung. Zwar habe sie
keinen GdB von 50 und sei auch nicht gleichgestellt worden, Letzteres sei ihr aber für den
Bedarfsfall zugesichert worden. Die Beklagte habe bei der Stellenbesetzung mehrfach das
SGB IX verletzt, was die Vermutung auslöse, dass bei der Ablehnung der Klägerin ihre Behinderung
eine Rolle gespielt habe. Diese Vermutung habe die Beklagte nicht entkräften
können.
Die Klage blieb in allen drei Instanzen ohne Erfolg. Die Beklagte musste die Klägerin nicht
nach den Vorschriften des SGB IX behandeln, da die Klägerin dafür die persönlichen Voraussetzungen
nicht erfüllt. Sie fällt nicht unter den Anwendungsbereich der Schutzvorschriften
des SGB IX. Deshalb kann sich die Klägerin auch nicht auf sonstige Verletzungen der
Vorschriften des SGB IX berufen. Auch dafür müsste sie schwerbehindert oder den schwerbehinderten
Menschen gleichgestellt sein. Allerdings stehen seit August 2006 alle behinderten
Menschen unter dem Schutz des AGG. Die Klägerin hat sich jedoch ausschließlich auf
die Verletzung von Vorschriften des SGB IX berufen und keine Tatsachen vorgetragen, die
die Vermutung für eine Benachteiligung im Sinne des AGG auslösen. Nachdem mit dem
AGG die Rahmenrichtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 in deutsches
Recht umgesetzt ist, kommt die zwischenzeitlich notwendige entsprechende Anwendung der
Regeln des SGB IX auf nicht schwerbehinderte Menschen nicht länger in Betracht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 27. Januar 2011 – 8 AZR 580/09 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Juni 2009 – 3 Sa 499/09 –