BAG: Restitutionsklage nach EGMR-Entscheidung

Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hatte über die Zulässigkeit der Restitutionsklage
eines Kirchenmusikers zu entscheiden, der die Wiederaufnahme eines
Kündigungsschutzverfahrens vor dem Landesarbeitsgericht begehrte. Die beklagte
katholische Kirchengemeinde hatte die Kündigung aus dem Jahr 1997 im Wesentlichen
damit begründet, der Kläger habe Ehebruch begangen und dadurch seine besonderen
Loyalitätspflichten aus dem Arbeitsverhältnis verletzt. Der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte (EGMR) hat mit Urteil vom 23. September 2010 festgestellt,
dass die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2000, mit der
die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen wurde, das Recht des Klägers
auf Achtung seines Privat- und Familienlebens aus Art. 8 der Europäischen Konvention
zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) verletzt. Das Urteil
des Landesarbeitsgerichts lasse nicht erkennen, dass auch dieses Recht bei der
Abwägung berücksichtigt worden sei. Mit Urteil vom 28. Juni 2012 hat der EGMR
dem Kläger gemäß Art. 41 EMRK eine Entschädigung zugesprochen.

Die Revision des Klägers gegen die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts, das
die im Oktober 2010 erhobene Restitutionsklage für unzulässig erklärt hat, blieb ohne
Erfolg. Nach § 580 Nr. 8 ZPO findet zwar die Restitutionsklage statt, wenn der EGMR
eine Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf der
Verletzung beruht. Dieser Restitutionsgrund ist aber gemäß § 35 EGZPO nicht auf
Verfahren anzuwenden, die vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossen
wurden. § 35 EGZPO knüpft dabei an die Rechtskraft des Ausgangsverfahrens
und nicht an den Zeitpunkt an, zu dem ein endgültiges Urteil des EGMR iSd. Art. 44
EMRK vorliegt. Das ergibt die Auslegung der Übergangsregelung. Ein anderes
Normverständnis ist methodengerecht nicht möglich.

§ 35 EGZPO ist mit diesem Inhalt nicht konventions- oder verfassungswidrig. Weder
die EMRK noch deutsches Verfassungsrecht verlangen zwingend danach, einem die
Verletzung der Konvention feststellenden Urteil des EGMR die Wirkung beizumessen,
die Rechtskraft von Zivilurteilen im Ausgangsverfahren zu beseitigen. Hat der
deutsche Gesetzgeber eine Wiederaufnahmemöglichkeit nur für solche Rechtsstreitigkeiten
eröffnet, die bei der Einführung des Restitutionsgrundes noch nicht rechtskräftig
abgeschlossen waren, hält sich dies im Rahmen des ihm zukommenden Gestaltungsspielraums.
Er durfte für „Altfälle“ das Vertrauen der im Ausgangsverfahren
erfolgreichen Partei in den Bestand des rechtskräftigen Zivilurteils stärker gewichten
als das Interesse der unterlegenen Partei, das Verfahren wegen eines festgestellten
Konventionsverstoßes wieder aufzunehmen. Das in Art. 6 Abs. 2 EUV zum Ausdruck
gebrachte Ziel der wirksamen Umsetzung der EMRK steht dem nicht entgegen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22. November 2012 – 2 AZR 570/11 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 4. Mai 2011 – 7 Sa 1427/10 –