BAG: Mutterschutzrechtlicher Sonderkündigungsschutz nach medizinisch-indizierter Einleitung der Geburt

Die schwangere Klägerin arbeitete seit dem 15. September 2002 in der Rechtsabteilung der
Beklagten. Der voraussichtliche Entbindungstermin sollte der 1. Mai 2003 sein. Anlässlich
einer Vorsorgeuntersuchung im Dezember 2002 wurde eine Funktionsstörung der Nieren
des ungeborenen Kindes festgestellt (sog. Potter-Syndrom), die zum sicheren Tod des Kindes
noch während der Schwangerschaft oder kurz nach der Geburt geführt hätte. Auf ärztlichen
Rat wurden am 26. Dezember die Wehen medikamentös eingeleitet. Am 28. Dezember
brachte die Klägerin einen toten Jungen mit einem Gewicht von 600 Gramm zur Welt. In der
Todesbescheinigung ist angegeben, dass das Kind in der Geburt verstorben ist. Die Klägerin
teilte am 30. Dezember 2002 der Beklagten mit, die Schwangerschaft sei abgebrochen worden
und das Kind gestorben. Die Beklagte kündigte mit Schreiben vom 5. März 2003 das
Arbeitsverhältnis der Klägerin fristgemäß. Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin gegen diese
Kündigung mit dem Hinweis gewandt, diese sei nach § 9 Abs. 1 MuSchG unzulässig. Die
Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Sonderkündigungsschutz für Mütter finde vorliegend
keine Anwendung, weil auch ein medizinisch indizierter Schwangerschaftsabbruch keine
„Entbindung„ im Sinne des Gesetzes sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin hat das Bundesarbeitsgericht
der Klage stattgegeben.

Nach § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG ist die Kündigung gegenüber einer Frau während einer
Schwangerschaft und bis zum Ablauf von vier Monaten nach der Entbindung unzulässig.
Eine Entbindung im Sinne der Norm ist ua. in Anlehnung an entsprechende personenstandsrechtliche
Bestimmungen (§ 21 Abs. 2 PStG iVm. § 29 Abs. 2 PStV) dann anzunehmen,
wenn die Leibesfrucht ein Gewicht von mindestens 500 Gramm hat. Dabei spielt es keine
Rolle, ob das Kind lebend oder tot geboren wird. Das gilt auch bei einer medizinisch indizierten
vorzeitigen Beendigung der Schwangerschaft. Dies entspricht dem Sinn und Zweck
von § 9 Abs. 1 MuSchG, ua. einen Schutz für die durch die Schwangerschaft und den Geburtsvorgang
entstehenden Belastungen der Frau zu gewähren.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 15. Dezember 2005 – 2 AZR 462/04 –

Vorinstanz: LAG München, Urteil vom 14. Juli 2004 – 5 Sa 241/04 –