BAG: Fortgeltung einer dynamischen Verweisung auf Tarifverträge auch bei nicht tarifgebundenem Betriebserwerber – “Altvertrag”/”Neuvertrag”

In dem vom Vierten Senat heute entschiedenen Fall hatte die Klägerin von der Beklagten
Leistungen aus einem Tarifvertrag verlangt, an den die Beklagte nicht kraft Verbandsmitgliedschaft
tarifgebunden ist. Sie hat sich dafür auf eine Bezugnahmeklausel in ihrem
Arbeitsvertrag bezogen, den sie 1998 für eine Tätigkeit als Maschinenbedienerin mit einem
tarifgebundenen Unternehmen der Metallindustrie abgeschlossen hatte. Dort war auf ?die
Bestimmungen der gültigen Tarifverträge der Metallindustrie Schleswig-Holstein in der jeweils
gültigen Fassung? Bezug genommen worden. Im Jahre 2003 ging das Arbeitsverhältnis
im Wege des Betriebsübergangs auf eine andere, ebenfalls tarifgebundene Gesellschaft
über. Im November 2005 schloss die Klägerin mit dieser aus Anlass einer Arbeitszeitreduzierung
eine ?Vereinbarung zum bestehenden und fortgeltenden Arbeitsvertrag?, in der es auch
heißt: ?Die einschlägigen Tarifverträge der Metallindustrie in Schleswig-Holstein in ihrer jeweiligen
Fassung sind Bestandteil dieser Vereinbarung.? Im Jahre 2006 ging das Arbeitsverhältnis
durch einen weiteren Betriebsübergang auf die nicht tarifgebundene Beklagte über.
Wie die Vorinstanzen hat auch das Bundesarbeitsgericht angenommen, dass die Klägerin
auch Rechte aus den in Bezug genommenen tariflichen Regelungen geltend machen kann,
die erst nach dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die nicht tarifgebundene Beklagte
vereinbart wurden. Konkret ging es um Tariflohnerhöhungen und eine tarifliche Einmalzahlung,
die im Jahre 2007 vereinbart worden und die der Klägerin in Höhe von rund 600,00 ?
zuzuerkennen waren.

Hintergrund des Rechtsstreits ist, dass nach der früheren Rechtsprechung des Vierten Senats
bei Tarifgebundenheit des Arbeitgebers an arbeitsvertraglich in Bezug genommene Tarifverträge
Bezugnahmeklauseln wie die im Arbeitsvertrag der Parteien in aller Regel als sogenannte
Gleichstellungsabreden auszulegen waren, deren – nicht ausdrücklich niedergelegter,
aber durch Auslegung festgestellter – vertraglicher Zweck es allein war, die nicht tarifgebundenen
Arbeitnehmer ebenso zu stellen wie die tarifgebundenen; ihnen gegenüber waren
die betreffenden Tarifverträge ohnehin kraft Gesetzes anzuwenden. Dies führte bei einem
Wegfall der Tarifgebundenheit auf Arbeitgeberseite dazu, dass die in das Arbeitsverhältnis
einbezogenen Tarifverträge nur noch statisch in der Fassung zum Zeitpunkt des Endes der
Tarifgebundenheit anzuwenden waren. Diese Auslegungsregel legt der Senat aus Gründen
des Vertrauensschutzes auch weiterhin bei Bezugnahmeklauseln zu Grunde, die vor dem
1. Januar 2002 vereinbart worden sind (?Altverträge?). Bei Arbeitsverträgen, die nach dem
Inkrafttreten der Schuldrechtsreform zum 1. Januar 2002 abgeschlossen wurden (?Neuverträge?),
wendet der Senat die genannte Auslegungsregel nicht mehr an. Er versteht die
Klausel nun, wenn keine Anhaltspunkte für einen hiervon abweichenden Vertragswillen bestehen,
ihrem Wortlaut entsprechend als unbedingte zeitdynamische Verweisung.

Im entschiedenen Rechtsstreit war die Verweisung im geänderten Arbeitsvertrag aus dem
Jahre 2005 als Verweisung in einem ?Neuvertrag? zu behandeln, weil sie in den damals gebildeten
Vertragswillen der Arbeitsvertragsparteien neu aufgenommen worden ist, wie schon
ihre Umformulierung gegenüber dem Ursprungsvertrag zeigt. Die Verweisungsklausel war
deshalb entsprechend der neueren Senatsrechtsprechung ihrem Wortlaut entsprechend anzuwenden.
Die Beklagte ist an sie gebunden, weil sie im Wege des Betriebsübergangs in
den mit diesem Inhalt bestehenden Arbeitsvertrag eingetreten ist. Sie hat deshalb die Klägerin
auch trotz ihrer eigenen Tarifungebundenheit aufgrund Arbeitsvertrags nach den einschlägigen
Tarifverträgen der Metallindustrie in Schleswig-Holstein in ihrer jeweils aktuellen
Fassung zu vergüten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. Februar 2010 – 4 AZR 691/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 17. Juli 2008 – 3 Sa 159/08 –