BAG: Ergänzende Auslegung einer vertraglichen Bezugnahmeklausel

Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel, die auf den „Bundes-
Angestelltentarifvertrag (BAT) in der jeweils gültigen Fassung“ und die dazu geschlossenen
Zusatzverträge verweist, kann im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung
dahingehend ausgelegt werden, dass auch die den BAT ersetzenden Tarifverträge
für das Arbeitsverhältnis maßgebend sind. Nach dem Zweck der Bezugnahmeklausel
ist von den verschiedenen Nachfolgetarifverträgen des BAT in der Regel
derjenige anzuwenden, der typischerweise gelten würde, wenn die Tätigkeit
innerhalb des öffentlichen Dienstes erbracht würde.
Der Kläger ist bei der nicht tarifgebundenen Beklagten beschäftigt. Die Parteien haben
für den Inhalt ihres Arbeitsverhältnisses im Wesentlichen die Bestimmungen des
jeweils gültigen BAT in Bezug genommen, nicht aber auch die diesen ersetzenden
Tarifverträge. Die Beklagte wendet auch nach dem Inkrafttreten des Tarifvertrages
für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) am 1. November 2006 weiterhin die
Bestimmungen des BAT und der ihn ergänzenden Tarifverträge an. Der Kläger will
festgestellt wissen, dass die tariflichen Regelungen des TV-L und dessen Zusatztarifverträge
für sein Arbeitsverhältnis maßgebend sind.
Die Klage war vor dem Vierten Senat des Bundesarbeitsgerichts, ebenso wie in den
Vorinstanzen, erfolgreich. Die lediglich zeitdynamisch ausgestaltete Bezugnahmeklausel
erfasste nicht die Nachfolgetarifverträge des BAT, da es sich bei diesen nicht
um eine gültige Fassung des BAT handelt. Die Bezugnahmeregelung ergab allerdings
den Willen der Parteien, sich dynamisch an der Tarifentwicklung des öffentlichen
Dienstes auszurichten. Da der BAT mit dem Inkrafttreten u.a. des TV-L seine
Dynamik verloren hat, ist die vertragliche Bezugnahmeregelung lückenhaft geworden.
Wie bereits der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts für eine
Inbezugnahme der Vergütungsregelungen des BAT entschieden hat (16. Dezember
2009 – 5 AZR 888/08 -), würde eine statische Weitergeltung des BAT mit dem tariflichen
Normenbestand aus dem Jahre 2003 nach dem Sinn und Zweck der Bezugnahmeklausel
nicht den Interessen der Parteien entsprechen. Die Bezugnahmeklausel
war im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahin zu ergänzen, dass
auch die Geltung der dem BAT nachfolgenden Tarifregelungen vom mutmaßlichen
Willen der Arbeitsvertragsparteien mitumfasst war. Da es für die in Hamburg ansässige
Arbeitgeberin an erkennbaren Hinweisen fehlte, sich am Tarifrecht des
Bundes oder an dem der Kommunen zu orientieren, war die lückenhafte Vertragsregelung
dahin zu schließen, dass die Parteien redlicherweise die Bezugnahme des
TV-L, sowie der hierzu geschlossenen weiteren Tarifverträge vereinbart hätten.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19. Mai 2010 – 4 AZR 796/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 22. Mai 2008 – 8 Sa 1/08 –