BAG: Arbeitskampf in kirchlichen Einrichtungen – Zweiter Weg

Entscheidet sich die Kirche, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten ihrer diakonischen
Einrichtungen nur dann durch Tarifverträge auszugestalten, wenn eine Gewerkschaft
zuvor eine absolute Friedenspflicht vereinbart und einem Schlichtungsabkommen
zustimmt, sind Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Tarifforderungen
unzulässig.

Der Kläger ist ein von der vormaligen Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche
(NEK) gegründeter Arbeitgeberverband. Im Bereich der NEK galten seit 1961
Tarifverträge für die in den kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmer.
Diese werden von dem klagenden Arbeitgeberverband mit Gewerkschaften abgeschlossen.
Der Kläger macht die Aufnahme von Tarifverhandlungen vom Abschluss
eines Grundlagentarifvertrags abhängig, nach dem Arbeitskampfmaßnahmen zur
Durchsetzung eines Tarifvertragsabschlusses unzulässig sind. Nach einer Schlichtungsvereinbarung
entscheidet eine Schlichtungsstelle im Konfliktfall unter dem Vorsitz
eines unparteiischen Schlichters über das Zustandekommen des Tarifvertrags
(sog. Zweiter Weg).

Der Bundesverband des Marburger Bundes forderte den Kläger im Jahr 2007 zu Tarifverhandlungen
über den Abschluss eines Tarifvertrags für die bei den diakonischen
Anstellungsträgern der NEK beschäftigten Ärzte auf. Da der Bundesverband
den vom Kläger verlangten Verzicht auf die Durchführung von Arbeitskampfmaßnahmen
ablehnte, kam es nicht zur Aufnahme von Tarifverhandlungen. Am 31. August
2009 führte der Landesverband Hamburg des Marburger Bundes einen Streik in
einem diakonischen Krankenhaus in Hamburg durch, den ihm das Arbeitsgericht
Hamburg vorab im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens rechtskräftig
erlaubt hatte.

Der Kläger verlangt vom Bundesverband des Marburger Bundes und dessen Landesverband
Hamburg, Streikmaßnahmen in Einrichtungen seiner Mitglieder zu unterlassen.
Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.
Die Revision des Klägers blieb vor dem Ersten Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne
Erfolg. Die Entscheidung der NEK, auf der Grundlage eines am Leitbild der Dienstgemeinschaft ausgerichteten Tarifvertragsverfahrens die Arbeitsbedingungen
ihrer Beschäftigten zu regeln, fällt in den Schutzbereich des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
aus Art. 140 GG iVm. Art. 137 Abs. 3 WRV, Art. 4 GG. Dieses bekenntnisgemäß
modifizierte Tarifvertragsverfahren schließt den Arbeitskampf aus.
Das kollidiert mit dem Recht einer Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG, sich durch
den Abschluss von Tarifverträgen koalitionsmäßig zu betätigen und hierfür Arbeitskampfmaßnahmen
einzusetzen.

Bei einer hiernach vorzunehmenden Güterabwägung ist zu berücksichtigen, dass
sich eine Gewerkschaft auf dem Zweiten Weg koalitionsmäßig betätigen kann. Zwar
kann sie zur Durchsetzung ihrer Tarifforderungen keinen Verhandlungsdruck durch
Streikandrohung entfalten. Sie führt aber die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite
autonom und muss keine Rücksicht auf die Interessen von Nichtmitgliedern nehmen.
Ihr bleibt ein erhebliches Maß an Einflussnahme. Sie kann unmittelbar und intensiv
ihrer vom Grundgesetz vorausgesetzten Zweckbestimmung nachkommen, die Arbeits-
und Wirtschaftsbedingungen zu Gunsten ihrer Mitglieder zu beeinflussen. Die
Nutzung des staatlichen Tarifrechts im Zweiten Weg garantiert zudem die Verbindlichkeit
von Tarifabschlüssen als Mindestarbeitsbedingung. Abweichungen zu Lasten
gewerkschaftlich Organisierter sind den verbandsgebundenen diakonischen Dienstgebern
nicht möglich. Dieser Schutz kommt der Gewerkschaft auch bei der Mitgliederwerbung
zugute. Danach hat ihr Streikrecht gegenüber dem im Zweiten Weg zum
Ausdruck kommenden kirchlichen Selbstbestimmungsrecht zurückzutreten.
Allerdings hat der Kläger nicht darlegen können, dass aufgrund vergangener Arbeitskampfmaßnahmen
der Beklagten die ernstliche Besorgnis weiterer Störungen besteht.
Das Arbeitsgericht Hamburg hatte seinen Antrag auf Untersagung des am
31. August 2009 durchgeführten Streiks rechtskräftig abgewiesen. Damit stand fest,
dass der Landesverband des Marburger Bundes diesen Arbeitskampf durchführen
durfte. Hieran war der Senat gebunden. Weitere Streiks fanden nach diesem Zeitpunkt
gegenüber Mitgliedern des Klägers nicht mehr statt. Damit fehlte es gegenüber
beiden Beklagten an einer für das Unterlassungsbegehren notwendigen Verletzungshandlung.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamburg, Urteil vom 23. März 2011 – 2 Sa 83/10 –