BAG: Annahmeverzug und Schadensersatz bei Schwerbehinderung

Der Arbeitgeber hat Annahmeverzugslohn zu zahlen, wenn er die vom Arbeitnehmer geschuldete
Arbeitsleistung nicht annimmt (§§ 615, 293 ff. BGB). Das gilt auch dann, wenn den
Arbeitgeber an der Nichtbeschäftigung kein Verschulden trifft. Kein Annahmeverzug wird
begründet, wenn der Arbeitnehmer außerstande ist, die an dem zugewiesenen Arbeitsplatz
anfallenden Tätigkeiten auszuführen (§ 297 BGB). Kann der Arbeitnehmer davon nur einen
Teil verrichten, gerät der Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug, es sei denn, dem Arbeitnehmer
kann ein anderer Arbeitsplatz zugewiesen werden, den dieser ausfüllen kann (§ 106
GewO). Der Arbeitgeber ist regelmäßig nicht gehalten, dazu seine Arbeitsorganisation zu
ändern oder den Arbeitsplatz des Arbeitnehmers mit technischen Arbeitshilfen auszustatten.
Derartige Pflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus dem Schwerbehindertenrecht. Der
Arbeitgeber ist nach § 81 Abs. 4 Ziff. 1, 4 und 5 SGB IX zur behinderungsgerechten Ausgestaltung
eines Arbeitsplatzes verpflichtet. Er macht sich schadensersatzpflichtig, wenn er
diese Pflichten schuldhaft verletzt. Er schuldet dann die entgangene Vergütung als Schadensersatz
nach § 280 BGB iVm. § 81 Abs. 4 SGB IX, es sei denn, die behinderungsgerechte
Einrichtung des Arbeitsplatzes wäre ihm unzumutbar oder sie wäre mit unverhältnismäßigen
Aufwendungen verbunden (§ 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX).

Der mit einem Grad von 50 behinderte Kläger ist seit 1997 bei der beklagten Stadt als Arbeiter
angestellt. Auf Grund einer im Jahr 2000 eingesetzten Kniegelenksprothese war sein
rechtes Bein nicht voll belastbar. Insbesondere durfte er nicht mehr als 15 kg heben und tragen.
Auf den Arbeitsplätzen, auf denen er zuletzt eingesetzt war (Wertstoffhof; Containerstellplatzreinigung)
waren zum Teil erheblich schwerere Gegenstände zu heben und zu tragen.
Die Stadt lehnte seine Beschäftigung Mitte August 2001 auf Dauer ab, weil der Kläger
wegen der Behinderung seine Arbeitspflicht nicht erfüllen könne. Der Kläger hat seine Vergütungsansprüche
für die Zeit von Mitte August 2001 bis einschließlich April 2002 geltend
gemacht.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision des Klägers hatte vor dem
Neunten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Zu Recht haben die Vorinstanzen Ansprüche
aus Annahmeverzug verneint. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass Ansprüche
auf Schadensersatz wegen entgangener Vergütung – jedenfalls für einen Teil des
Anspruchszeitraums – bestehen. Deshalb hat der Senat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 4. Oktober 2005 – 9 AZR 632/04 –

Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 9. August 2004 – 8 (17) Sa 1416/02 –