BAG: „Andere Abmachung“ nach § 4 Abs. 5 TVG

Schließen tarifgebundene Arbeitsvertragsparteien während der Laufzeit eines Tarifvertrages
einen Änderungsvertrag, der mit sofortiger Wirkung untertarifliche Arbeitsbedingungen festlegt,
wird diese Vereinbarung durch die unmittelbar und zwingend wirkende Tarifnorm verdrängt,
§ 4 Abs. 1 und Abs. 3 TVG. Sie ist grundsätzlich auch nicht als andere Abmachung
iSv. § 4 Abs. 5 TVG für den Fall zu verstehen, dass die zwingende Wirkung des geltenden
Tarifvertrages später entfallen sollte (etwa wegen eines späteren Verbandsaustritts und
wiederum später nachfolgendem Ende des Tarifvertrages iSv. § 3 Abs. 3 TVG) und die
Nachwirkung eintritt. Bereits aus der Vereinbarung selbst ergibt sich, dass ihr Regelungswillen
auf die Beseitigung der unmittelbaren und zwingenden Wirkung der tariflichen Normen
gerichtet ist.
Die beklagte Arbeitgeberin ist seit vielen Jahren Mitglied in einem Arbeitgeberverband des
Baugewerbes, seit dem 1. Januar 2006 als Mitglied ohne Tarifbindung (OT). Zu diesem Zeitpunkt
galt der am 29. Juli 2005 zwischen dem Verband und der IG BAU vereinbarte Lohntarifvertrag
(TV Lohn-West), der von der Gewerkschaft später zum 31. März 2007 gekündigt
wurde. Bereits am 12. Juli 2005 hatte die Beklagte nach vorheriger Information des Betriebsrates
über die wirtschaftlich angespannte Lage des Unternehmens mit vielen ihrer Arbeitnehmer
– darunter auch dem Kläger – Änderungsverträge vereinbart. Danach sollte ua. ab
dem 1. September 2005 nur noch der tarifliche Mindestlohn, nicht jedoch der Facharbeiterlohn
gezahlt werden sowie der Anspruch auf das 13. Monatseinkommen entfallen. Der
Kläger, Mitglied der IG BAU, hat auch für den Zeitraum ab dem 1. April 2007 den tariflichen
Facharbeiterlohn geltend gemacht. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, bei den
Vereinbarungen vom 12. Juli 2005 handele es sich jedenfalls für die Zeit nach dem Ende des
TV Lohn-West ab dem 1. April 2007 um eine dessen Nachwirkung beendende andere
Abmachung iSv. § 4 Abs. 5 TVG.
Die Vorinstanzen haben der Klage statt gegeben. Die Revision der Beklagten blieb ebenso
wie in mehreren Parallelverfahren vor dem Vierten Senat ohne Erfolg. Der Kläger kann seinen
tariflichen Facharbeiterlohn weiter von der Arbeitgeberin verlangen. Der TV Lohn-West
wirkt für ihn nach.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 1. Juli 2009 – 4 AZR 250/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 19. Februar 2008 – 2 Sa
421/07 –