BAG: “Andere Abmachung” nach Ablauf des Tarifvertrages

Nach Ablauf eines Tarifvertrages gelten dessen Rechtsnormen weiter, bis sie durch
eine andere Abmachung ersetzt werden (§ 4 Abs. 5 TVG). Über diesen Gesetzeswortlaut
hinaus kann eine „andere Abmachung“ in Form einer einzelvertraglichen
Vereinbarung, welche die bisherigen Bedingungen aus dem abgelaufenen Tarifvertrag
ohne Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip verschlechtern kann, im Einzelfall
auch schon vor Ablauf des Tarifvertrages getroffen werden. Sie löst die tariflichen
Bestimmungen aber nur dann ab, wenn sie konkret und zeitnah vor dem bevorstehenden
Ablauf des Tarifvertrages die sich dann aufgrund der Nachwirkung ergebende
Situation regelt.
In dem heute vom Vierten Senat entschiedenen Fall machte eine gewerkschaftlich
organisierte Klägerin u.a. Rechte aus einem Manteltarifvertrag (MTV) geltend, der im
Juli 2003 auf unbestimmte Zeit mit einer Kündigungsfrist von drei Monaten zum
Quartal abgeschlossen worden war. Die beklagte Arbeitgeberin war langjährig Vollmitglied
eines am Tarifabschluss beteiligten Arbeitgeberverbandes, wechselte dort
aber zum 1. November 2004 in eine Mitgliedschaft ohne Tarifbindung (OTMitgliedschaft).
Am 1. März 2005 vereinbarten die Parteien eine Änderung ihres Arbeitsvertrages
zum 1. April 2005 u.a. mit einer Verlängerung der im MTV vorgesehenen
regelmäßigen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich und einer Verkürzung des dort
festgelegten tariflichen Mindesturlaubs um zwei Tage. Der MTV wurde dann Ende
Oktober 2005 zum 31. März 2006 gekündigt. Mit ihrer Klage verlangte die Klägerin
die Bezahlung der über die tarifliche Arbeitszeit hinausgehenden Arbeitsstunden zwischen
Januar und Juni 2006 sowie die Nachgewährung der zwei Tage Jahresurlaub
2006.
Die Klage hatte im hier behandelten Teil Erfolg. Bis zum 31. März 2006 galt der Manteltarifvertrag für die Parteien noch kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit zwingend.
Seine Festlegungen konnten durch Vertrag nicht verschlechtert werden. Danach
wirkte er zwar nur noch nach, war also durch eine „andere Abmachung“ auch zu Lasten
der Klägerin abänderbar. Die Vereinbarung vom 1. März 2005 war indes keine
solche andere Abmachung. Sie war nicht für eine bevorstehende Nachwirkungsphase
getroffen worden, sondern sollte die Rechtslage sofort – während noch laufenden
Tarifvertrages – ändern und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem noch gar nicht absehbar
war, ob und wann es zu einer Nachwirkung des MTV kommen würde.

Den wegen weiterer Klageforderungen entscheidungserheblichen Wechsel der Beklagten
in die OT-Mitgliedschaft hat der Senat trotz sehr allgemein gehaltener Regelungen
zur Trennung der Befugnisse von OT- und Vollmitgliedern als wirksam angesehen.
In einem solchen Fall kann es zwar möglicherweise neben dem Satzungswortlaut
zur Feststellung des erforderlichen Gleichlaufs von Verantwortlichkeit und
Betroffenheit auch auf eine davon etwa abweichende Praxis des Vereinslebens ankommen.
Da hierfür keine Anhaltspunkte dargelegt waren, musste der Senat dem
nicht weiter nachgehen.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20. Mai 2009 – 4 AZR 230/08 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 7. November 2007 – 18 Sa
508/07 –