OVG Rheinland-Pfalz: Salomonisches Urteil im Sinziger Karnevals- und Kirmesstreit – Veranstaltungen waren teilweise zulässig

Lautstarke Veranstaltungen aus Anlass des Karnevals oder einer Kirmes können auch in einem Wohngebiet zulässig sein. Das gilt aber nur, wenn sie als “sehr seltene Ereignisse” wegen ihrer besonderen Bedeutung für die örtliche Gemeinschaft trotz der mit Ihnen verbundenen Belästigungen den Nachbarn zumutbar sind. So entschied jetzt des Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz.

Der Sinziger Fall hat die Verwaltungsgerichte schon wiederholt beschäftigt. Auf einer als Spielplatz ausgewiesenen öffentlichen Grünfläche im Ortsteil Westum findet seit den 1970er Jahren in jedem Sommer die viertägige St. Peter- und Paul-Kirmes (“Murre-Fest”) statt. Außerdem werden dort seit einigen Jahren Karnevalsveranstaltungen durchgeführt. Im Jahr 2003 genehmigte die Stadt Sinzig eine Kappensitzung, die bis 2:00 Uhr nachts dauern sollte, sowie Karnevalsveranstaltungen an drei weiteren Abenden. Anlässlich der Kirmes Ende Juni 2003 wurden für aufeinander folgende Abende an einem Wochenende eine Disko- sowie zwei Livemusik- bzw. Tanzveranstaltungen gestattet.

Nachbarn klagten gegen diese Genehmigungen und wollten mit Blick auf die Zukunft festgestellt wissen, dass diese rechtswidrig waren. In erster Instanz gab das Verwaltungsgericht Koblenz diesen Klagen im Wesentlichen statt. Demgegenüber entschied das Oberverwaltungsgericht jetzt teilweise zugunsten der veranstaltenden Vereine, machte aber zugleich auch die Grenzen zum Schutz der Nachbarschaft deutlich.

Lärmintensive Veranstaltungen der hier umstrittenen Art dürften nur insoweit erlaubt werden, als dies bei Abwägung der widerstreitenden Interessen den Nachbarn zugemutet werden könne, betonte das Oberverwaltungsgericht. Die für die Lärmbelästigung maßgeblichen Orientierungswerte entnahm es der vom Länderausschuss für Immissionsschutz erarbeiteten sog. Freizeitlärm-Richtlinie. Diese erlaubt für höchstens zehn Tage oder Nächte eines Kalenderjahres Störereignisse, die die sonst geltenden, strengen Lärmwerte überschreiten können. Auch derartige seltene Ereignisse dürfen allerdings nicht beliebig laut sein. Vielmehr sind sie grundsätzlich unzumutbar, wenn die von ihnen ausgehenden Lärmimmissionen nachts Beurteilungspegel von mehr als 55 dB(A) verursachten. Laut Begutachtung durch einen Sachverständigen war dies bei den hier umstrittenen Veranstaltungen in einem Zelt mitten im Wohngebiet durchweg der Fall.

Lärmimmissionen, die sogar diese erhöhten Werte deutlich überschreiten, seien nicht in jedem Fall unzulässig, dürften aber an ein und demselben Standort allenfalls für jährlich fünf “sehr seltene Ereignisse” gestattet werden, urteilte jetzt das Oberverwaltungsgericht. Dabei müsse es sich um Veranstaltungen von herausragender sozialer Bedeutung für das öffentliche Gemeinschaftsleben handeln, wobei aber auch dann der Schutz der Nachtruhe der Anwohner nur im notwendigen Umfang in der Abwägung zurückgestellt werden dürfe. Gegebenenfalls müssten Ausweichstandorte in die Prüfung einbezogen werden.

Das Oberverwaltungsgericht zog daraus die Konsequenz, dass von den umstrittenen Karnevalsveranstaltungen mit Musikdarbietung nur die Kappensitzung, und auch diese nur bis 24:00 Uhr, zulässig war. Die drei anderen in Rede stehenden Feten hätten keinen hinreichenden Bezug zum traditionellen Karneval erkennen lassen. Von den Kirmesfeiern beanstandeten die Richter die freitägliche Diskoveranstaltung; die übrigen durften erlaubt werden, allerdings ebenfalls nur bis 24:00 Uhr.

Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wurde nicht zugelassen.

Urteile aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. September 2004, Aktenzeichen: 6 A 10947/04.OVG und 6 A 10949/04.OVG