OVG Rheinland-Pfalz lehnt aus Vertrauensschutzgründen Rückforderung von Sitzungsgeldern für Oberbürgermeister ab

Im Rechtsstreit um die Rückforderung von Sitzungsgeldern (s. Pressemitteilung Nr. 48/2002 vom 04.12.2002) hat das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in Koblenz jetzt sein Urteil bekannt gegeben: Unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes darf der ehemalige Neuwieder Oberbürgermeister einen Großteil der umstrittenen Gelder behalten.

Der Kläger war von Juni 1990 bis Juni 2000 Oberbürgermeister von Neuwied. In dieser Zeit war er zugleich Aufsichtsratsvorsitzender zweier Eigengesellschaften der Stadt (Stadtwerke GmbH und Gemeinnützige Siedlungsgesellschaft mbH) sowie Mitglied in der Regionalvertretung der Planungsgemeinschaft Mittelrhein/Westerwald. Für diese Tätigkeiten erhielt er Sitzungsgelder in Höhe von insgesamt rund 112.000 DM.

Seit 1998 wurde im Landtag von Rheinland-Pfalz eine Debatte um Nebentätigkeiten von kommunalen Wahlbeamten geführt. Auf eine entsprechende Anfrage der Stadt Neuwied ließ das rheinland-pfälzische Innenministerium mitteilen, dass dieser Personenkreis Sitzungsgelder der vorgenannten Art abliefern müsse; Vorgänge vor dem 1. Januar 2000 würden aufgrund der bislang bestehenden Rechtsunsicherheit aber kommunalaufsichtlich nicht beanstandet. Zum 1. Januar 2001 trat eine gesetzliche Neuregelung in Kraft, wonach Aufwandsentschädigungen und Sitzungsgelder, die für dem Hauptamt zuzurechnende Tätigkeiten in dem Organ eines Unternehmens gezahlt werden, unverzüglich an den Dienstherrn abzuliefern sind (§ 78 a Landesbeamtengesetz).

Im Juni 2001 forderte die Stadt Neuwied ihren ehemaligen Oberbürgermeister auf, sämtliche Sitzungsgelder ab 1990 zu erstatten: Die zugrunde liegenden Tätigkeiten seien im Rahmen des Hauptamtes als Bürgermeister ausgeübt worden, weshalb der Kläger die Gelder nicht behalten dürfe. Das Verwaltungsgericht Koblenz teilte diesen Rechtsstandpunkt und wies die Klage des früheren Oberbürgermeisters ab. Dessen Berufung zum Oberverwaltungsgericht hatte nun aber im Wesentlichen Erfolg.

Der Kläger dürfe die Sitzungsgelder – bis auf einen noch im Jahr 2000 verdienten geringen Teilbetrag von 5.100 DM – behalten, entschied jetzt das Oberverwaltungsgericht. Zwar sei der umstrittene Ablieferungsanspruch grundsätzlich gegeben, und dies nicht erst seit der im Januar 2001 in Kraft getretenen Gesetzesänderung. Das ergebe sich aus dem grundsätzlichen Verbot für Beamte, Belohnungen oder Geschenke in Bezug auf ihr Hauptamt anzunehmen (§ 78 Landesbeamtengesetz). Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei dieses Verbot auf jedwede wirtschaftlichen Vorteile auszudehnen. Die Vertretung der Gemeinde in Organen eines unter ihrer Beteiligung geführten Privatunternehmens sei kraft Gemeindeordnung dem Bürgermeister als Teil seines hauptamtlichen Geschäftsbereiches zugewiesen. Dennoch sei die Ablieferungspflicht unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles zum weit überwiegenden Teil ausgeschlossen.

Hinsichtlich der bis Ende 1996 ausgezahlten Sitzungsgelder sei der Ablieferungsanspruch bereits verjährt, stellten die Richter fest. Denn für Ansprüche aus dem Beamtenverhältnis betrage die Verjährungsfrist nur vier Jahre. Darüber hinaus und unabhängig davon sei es mit den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Berechenbarkeit hoheitlichen Handelns nicht zu vereinbaren, das Ablieferungsbegehren auf den Zeitraum bis Ende 1999 zu erstrecken. Bis dahin sei nämlich die Zuordnung der Tätigkeit kommunaler Wahlbeamter zu den Bereichen öffentliches Ehrenamt, Nebentätigkeit oder Hauptamt weitgehend ungeklärt gewesen. So habe z.B. die Unabhängige Expertenkommission Nebentätigkeitsrecht in ihrem Abschlussbericht von Dezember 1999 insofern eine “verwirrende Begriffsvielfalt” konstatiert. Auch der Wissenschaftliche Dienst des Landtages habe noch Anfang 2000 in einer gutachtlichen Stellungnahme zahlreiche rechtliche “Grauzonen” festgestellt. Erst eine vom Innenministerium mittlerweile erstellte sog.

Vor diesem Hintergrund sei der Entschluss des Innenministeriums als der obersten Kommunalaufsichtsbehörde im Land, Vorgänge vor dem 1. Januar 2000 nicht aufzugreifen, das Ergebnis einer gerechten Interessenabwägung. Es gebe keinen überzeugenden Grund, von diesem Stichtag zu Lasten des ehemaligen Neuwieder Oberbürgermeisters abzuweichen, so das Oberverwaltungsgericht.

Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2002, Aktenzeichen: 2 A 11104/02.OVG