Wirkungsvolle Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den legitimen Aufgaben einer Landtagsfraktion. Soweit dafür staatliche Mittel eingesetzt werden, muss diese Öffentlichkeitsarbeit aber einen hinreichenden Bezug zur parlamentarischen Arbeit aufweisen. Eine ausdrückliche, gezielte Werbung für die Partei und deren Personal ist den Fraktionen nicht gestattet. So entschied der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in einem heute verkündeten Urteil.
Die Landtagsfraktionen erhalten zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben staatliche Geldleistungen, über die sie nach dem Fraktionsgesetz des Landes öffentlich Rechnung zu legen haben. Der Rechnungshof darf die Verwendung der Gelder prüfen und berichtet hierüber dem Landtagspräsidenten. Soweit der Rechnungshof oder der Landtagspräsident feststellt, dass Gelder nicht bestimmungsgemäß verwendet wurden, müssen diese binnen drei Monaten zurückerstattet werden.
Im Jahr 1997 beauftragte Dr. Christoph Böhr in seiner Eigenschaft als Fraktionsvorsitzender der CDU im rheinland-pfälzischen Landtag und zugleich als CDU-Landesvorsitzender eine Werbeagentur mit der Erstellung eines neuen gemeinsamen Erscheinungsbildes von Landesverband und Fraktion. In der Folgezeit entstanden Plakate mit dem Bild Böhrs, die von der Fraktion für Hinweise auf Veranstaltungen oder als Hintergrund bei Pressekonferenzen benutzt wurden.
Darüber hinaus entwickelte die Werbeagentur eine sog. Sympathiewerbung für Böhr. Dabei handelt es sich um einen achtseitigen Prospekt zur Fußballweltmeisterschaft 1998 unter der Überschrift “Nix Politik, Fußball!”. Darin drückte Böhr seine Liebe zum Fußball und seine Freude über die beginnende Fußball-WM aus und erläuterte, dass er dieses Heft als einen kleinen Service zusammengestellt habe. Es folgten Übersichten über die Einteilung der Spielgruppen und die Aufforderung, an einem Gewinnspiel teilzunehmen. Der Prospekt wurde in einer Auflage von 1,2 Mio. Exemplaren gedruckt und verschiedenen Zeitungen als Einlage beigefügt. Die von der Werbeagentur für die Plakate und die Prospekte in Rechnung gestellten Kosten von ca. 145.000 DM trugen die CDU-Fraktion und der CDU-Landesverband jeweils zur Hälfte.
Die von der CDU-Fraktion für das Jahr 1998 vorgelegte Rechnung wurde weder vom Rechnungshof noch vom Landtagspräsidenten geprüft. Allerdings leitete die Staatsanwaltschaft Mainz ein Ermittlungsverfahren gegen Böhr wegen des Verdachts der Untreue zum Schaden der CDU-Landtagsfraktion und der Landeskasse ein. Sie bezweifelte sowohl bei den Plakaten wie bei dem WM-Prospekt einen hinreichenden Bezug zur Parlamentsarbeit. Die CDU-Fraktion legte dem Landtagspräsidenten ein Rechtsgutachten vor, wonach es sich um zulässige Öffentlichkeitsarbeit gehandelt habe, und bat ihn, die Angelegenheit kurzfristig zu prüfen. Dieser Bitte entsprach der Landtagspräsident nicht, sondern verwies auf das Ermittlungsverfahren, dessen Ergebnis abzuwarten sei.
Daraufhin rief die CDU-Fraktion den Verfassungsgerichtshof in Koblenz an. Sie wollte geklärt wissen, dass sie mit den Plakaten und den WM-Prospekten die Fraktionsgelder bestimmungsgemäß verwendet habe: Unter den Bedingungen der modernen Mediendemokratie lasse sich Aufmerksamkeit beim Publikum nur durch die Symbolisierung und Personalisierung politischer Inhalte erzeugen. Deshalb müsse auch die rein personenbezogene Imagewerbung zu den legitimen Mitteln der Öffentlichkeitsarbeit einer Parlamentsfraktion, insbesondere einer Oppositionsfraktion, zählen.
Der Verfassungsgerichtshof gelangte nun zu einer differenzierten Bewertung und gab der CDU-Fraktion nur teilweise Recht.
“Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Aufgaben einer Landtagsfraktion und somit auch zu den Zwecken, für die staatliche Fraktionszuschüsse grundsätzlich verwendet werden dürfen”, betonte der Präsident des Verfassungsgerichtshofs, Prof. Dr. Karl-Friedrich Meyer, heute in der mündlichen Urteilsbegründung. Allerdings folge daraus nicht, dass öffentlichkeitswirksame Maßnahmen jeden Inhalts und jeder Form “bestimmungsgemäß” seien. So dürften staatliche Fraktionsgelder nicht für Parteiaufgaben verwendet werden; stets müsse die Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen einen hinreichenden Bezug zur parlamentarischen Tätigkeit aufweisen. Die kraft Bundesrechts geltenden Schranken für die staatliche Parteienfinanzierung dürften nicht dadurch unterlaufen werden, dass typische Angelegenheiten der Parteien durch staatliche Fraktionsgelder finanziert würden, betonte der Verfassungsgerichtshof.
Zwar habe jede Öffentlichkeitsarbeit einer Fraktion zwangsläufig auch einen werbenden Effekt für die Partei. Dies rechtfertige es aber nicht, auf die notwendige Grenzziehung gänzlich zu verzichten. So sei den Fraktionen insbesondere eine ausdrückliche, gezielte Werbung für die Partei und deren Personal verwehrt, heißt es in dem Urteil. Diese Einschränkung zwinge die Fraktionen keineswegs zum Verzicht auf Originalität und medienwirksame Aufmachung: Sie dürften die im Landtag handelnden Personen, insbesondere ihr eigenes Führungspersonal, durchaus mit persönlichem und beruflichem Hintergrund darstellen, soweit ein Zusammenhang zwischen diesen Volksvertretern und der von ihnen repräsentierten Politik sichtbar werde.
Abgrenzungsschwierigkeiten seien dabei gewiss unvermeidbar. Sie seien aber rechtsstaatlich hinzunehmen. Zum einen hätten nämlich die Fraktionen einen gewissen Spielraum für die Beurteilung, ob im Einzelfall ein hinreichender Bezug zur parlamentarischen Arbeit gegeben sei. Zum anderen stelle das Gesetz mit der Pflicht zur öffentlichen Rechnungslegung, der Prüfung durch den Rechnungshof und der daran anknüpfenden etwaigen Rückzahlungspflicht in Verbindung mit möglicher verfassungsgerichtlicher Klärung ein wirksames und grundsätzlich abschließendes Kontroll- und Korrekturinstrumentarium bereit. Eine wichtige Rolle falle in diesem System dem Rechnungshof zu; dieser habe nicht nur ein Prüfungsrecht, sondern bei verfassungsgemäßer Handhabung des Gesetzes grundsätzlich eine Prüfungspflicht, betonten die Verfassungsrichter. Demgemäß habe der Präsident des Rechnungshofes bereits angekündigt, dass die Verwendung von Fraktionsgeldern in Zukunft regelmäßig und zeitnah kontrolliert werde.
Im vorliegenden Fall fiel die verfassungsrechtliche Bewertung für die Plakate und die WM-Prospekte unterschiedlich aus: Plakate seien zwar an sich eine typische Form der Parteienwerbung. Hier seien sie aber im engen Zusammenhang mit der Fraktionsarbeit eingesetzt worden, etwa für Terminankündigungen oder als Hintergrund bei Pressekonferenzen. Eine solche Verwendung als untergeordnete Hilfsmittel zur effektiven und medienwirksamen Präsentation politischer Inhalte sei der Fraktion erlaubt gewesen. Da für deren parlamentarische Wirkungsmöglichkeiten der Landtag insgesamt Verantwortung trage, hätte sich dessen Präsident der von ihm erbetenen positiven Klarstellung insoweit nicht enthalten dürfen, so der Verfassungsgerichtshof.
Demgegenüber habe es sich bei dem WM-Prospekt nicht mehr um eine bestimmungsgemäße Form der Unterrichtung der Öffentlichkeit gehandelt. Der Prospekt habe keinen Bezug zur sachlichen Parlamentsarbeit aufgewiesen, sondern sich als eine reine Sympathiewerbung für den Fraktions- und Landesverbandsvorsitzenden der CDU dargestellt. Eine solche Werbetätigkeit ziele darauf ab, den Bekanntheitsgrad und das persönliche Erscheinungsbild des Vorsitzenden in der Bevölkerung zu steigern und damit letztlich dessen künftige Wahlchancen zu verbessern. Dies sei nicht Aufgabe der Fraktion, sondern der Partei. Aufwendungen dafür dürften nicht, auch nicht anteilig, aus staatlichen Fraktionsmitteln bestritten werden.
Im Hinblick auf das noch anhängige staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren gab der Verfassungsgerichtshof ergänzende Hinweise:
Was die Plakate anlange, stehe nunmehr mit Bindungswirkung für alle Staatsorgane fest, dass die betreffenden Fraktionsgelder bestimmungsgemäß verwendet worden seien. Hinsichtlich des WM-Prospekts stehe zwar jetzt das Gegenteil fest; die Strafwürdigkeit des Verhaltens sei damit aber noch nicht begründet. Angesichts des zuvor beschriebenen, grundsätzlich abschließenden Kontroll- und Korrekturinstrumentariums komme das Strafrecht als “ultima ratio” allenfalls in Fällen des zweifelsfreien, evidenten Missbrauchs zugewiesener Fraktionsgelder in Betracht. Eine derart krasse Pflichtverletzung liege hier schon deshalb nicht vor, weil Umfang und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit von Fraktionen bis zu dem nun vorliegenden Urteil des Verfassungsgerichtshofs noch ungeklärt und weithin offen gewesen seien.
Urteil des Verfassungsgerichtshofs Rheinland-Pfalz vom 19. August 2002, Aktenzeichen: VGH O 3/02
Im Internet ist diese Entscheidung unter der Adresse www.verfgh.justiz.rlp.de abrufbar.