EuGH: Staatliche Beihilfen müssen binnen zwei Monaten vorgeprüft werden

Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache C-99/98
Republik Österreich / Kommission der Europäischen Gemeinschaften

DIE KOMMISSION MUSS DIE VORPRÜFUNG STAATLICHER BEIHILFEN BINNEN EINER
FRIST VON ZWEI MONATEN DURCHFÜHREN

Die Entscheidung der Kommission über die Einleitung eines förmlichen
Prüfungsverfahrens betreffend die Beihilfe der Republik Österreich, des
Landes Kärnten und der Stadt Villach zugunsten der Firma Siemens wird für
nichtig erklärt

Das Gemeinschaftsrecht sieht eine präventive Kontrolle staatlicher
Beihilfen vor. Neue Beihilfen müssen der Kommission bekanntgegeben
werden, damit sie nach einer Vorprüfungsphase gegebenenfalls ein
kontradiktorisches Prüfungsverfahren einleiten und dem betreffenden
Mitgliedstaat verbieten kann, die beabsichtigten Maßnahmen durchzuführen,
bevor sie eine abschließende Entscheidung erlassen hat.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass die Vorprüfungsphase dazu
diene, der Kommission eine erste Meinungsbildung über die teilweise oder
völlige Vereinbarkeit der angezeigten Beihilfevorhaben mit dem Vertrag zu
ermöglichen. Da die Mitgliedstaaten ein Interesse daran hätten, rasch
Klarheit zu erlangen, müsse die Vorprüfungsphase innerhalb einer
angemessenen Frist von höchstens zwei Monaten abgeschlossen werden, nach
deren Ablauf der Mitgliedstaat das Beihilfevorhaben durchführen könne.

Nach Ende dieser Zweimonatsfrist richte sich die Prüfung der geplanten
Beihilfemaßnahme nach den bestehenden Beihilferegelungen, deren
Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht fortlaufend in Zusammenarbeit
mit den Mitgliedstaaten überprüft werde.

Am 9. Februar 1998 erließ die Kommission eine Entscheidung über die
Einleitung eines förmlichen Prüfungsverfahrens betreffend die staatliche
Beihilfe zugunsten der Siemens Bauelemente OHG, Villach (Österreich). Dem
Erlass dieser Entscheidung ging ein Schriftwechsel mit der Republik
Österreich voraus, der sich vom 21. Juni 1996 bis 10. November 1997
hinzog.

Die Gesamtkosten des angemeldeten Beihilfevorhabens, das vor allem der
Forschung und Entwicklung dienen sollte, betrugen 4 563 700 000 ATS, die
in Höhe von 371 Millionen ATS durch eine staatliche Beihilfe gedeckt
waren, die zum Teil von den Bundesbehörden und zum Teil vom Land Kärnten
und der Stadt Villach gewährt wurde.

Die Republik Österreich ersucht den Gerichtshof, diese Entscheidung für
nichtig zu erklären.

Sie vertritt die Auffassung, die Kommission sei nach Erhalt der erteilten
Auskünfte spätestens am 10. September 1997 ordnungsgemäß vom betreffenden
Vorhaben unterrichtet gewesen. Nach Ablauf der Zweimonatsfrist sei die
Republik Österreich am 20. November 1997 berechtigt gewesen, der
Kommission die beabsichtigte Auszahlung der Beihilfen anzuzeigen.

Der Gerichtshof führt zunächst aus, die Republik Österreich habe in der
Anmeldung klar angegeben, dass die gänzliche oder teilweise Genehmigung
durch die EU-Behörden eine Voraussetzung für die Förderungszusage sei.
Sie habe somit die Modalitäten der Prüfung der staatlichen
Beihilfevorhaben durch die Gemeinschaftsbehörden nicht missachtet.

Der Gerichtshof prüft sodann, wann die Auskünfte, die die Republik
Österreich der Kommission erteilt hat, so vollständig waren, dass die
Zweimonatsfrist zu laufen begann.

Er führt aus, eine Anmeldung sei als vollständig anzusehen, wenn sie die
Informationen enthalte, die die Kommission benötige, um sich eine erste
Meinung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem EG-Vertrag zu bilden.
Der Gerichtshof hat aufgrund der Prüfung der Schreiben der Republik
Österreich die Überzeugung gewonnen, dass die Zweimonatsfrist spätestens
am 24. März 1997 zu laufen begonnen hat.

Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die in einem seiner früheren
Urteile genannte Zweimonatsfrist einem Zustand der Rechtsunsicherheit
vorbeugen solle, der dem Zweck der Vorprüfungsphase bei staatlichen
Beihilfen zuwiderlaufen würde. Die Republik Österreich habe sich somit
auf diese Frist berufen können.

Abschließend bemerkt der Gerichtshof, dass ein Beihilfevorhaben nach
seiner Anmeldung zu einer bestehenden Beihilfe werde, wenn der
Mitgliedstaat der Kommission die Durchführung des Beihilfevorhabens
anzeige und wenn die Kommission nicht binnen zwei Monaten nach der
vollständigen Anmeldung der Beihilfe das kontradiktorische
Prüfungsverfahren einleite.

Folglich verfüge die Kommission nach dem Ablauf dieser Frist und nach der
Anzeige der Durchführung des angemeldeten Beihilfevorhabens nicht über
ein Widerspruchsrecht, das nur darauf hinauslaufen würde, der
gemeinschaftsrechtlichen Beihilfeverfahrensregelung eine neue Etappe
hinzuzufügen.

Der Gerichtshof hatte bereits 1973 im Urteil Lorenz entschieden, dass die
Kommission bei der Durchführung ihrer Vorprüfung eine angemessene Frist
von höchstens zwei Monaten einhalten müsse.

Diese Frist sei aufgrund der späteren Rechtsprechung des Gerichtshofes zu
einer zwingenden Frist geworden.

Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Entscheidung der
Kommission für nichtig.

Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das
den Gerichtshof nicht bindet.

Dieses Dokument liegt in deutscher, englischer und französischer Sprache vor.

Wegen des vollständigen Wortlauts des Urteils konsultieren Sie bitte heute ab ungefähr 15.00 Uhr unsere Homepage im Internet http://www.curia.eu.int