Zur Begründung heißt es in der Kammerentscheidung:
Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist zur Durchsetzung der Grundrechte der Bf aus Art. 12 Abs. 1 GG angezeigt. Die Anwaltsnotare werden durch die Anordnung der Aufsichtsbehörde, wonach sich diese Nebentätigkeit nicht mit dem Notariat vereinbaren lassen, in ihrer Berufsausübungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt. Grundlage der angegriffenen Entscheidung ist § 8 Abs. 3 Bundesnotarordnung (BNotO; siehe Anlage). Danach ist die Übernahme eines Aufsichtsratsmandats in einer auf Erwerb gerichteten Gesellschaft, Genossenschaft oder einem in einer anderen Rechtsform betriebenen Unternehmen von einer Genehmigung abhängig. Die Aufsichtsbehörde hat die Genehmigung zu versagen, wenn die Tätigkeit mit dem öffentlichen Amt des Notars nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in die Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit gefährden kann. Diese Regelung als solche begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie soll im Interesse einer geordneten Rechtspflege die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Notare sicherstellen. Das Gesetz dient damit dem Allgemeinwohl und ist auch generell der Konfliktlage angemessen.
Die angegriffenen Entscheidungen werden jedoch dem Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht. Das Nebentätigkeitsverbot, das empfindlich in das Grundrecht der Berufsfreiheit der Notare eingreift, stellt eine unverhältnismäßige Einschränkung dar. Es bestehen Zweifel an der Erforderlichkeit dieser Maßnahme. Gefährdungen der Unabhängigkeit beugt der Gesetzgeber bereits mit einer Vielzahl einzelner, ausdrücklich geregelter Ge- und Verbote vor. Dabei handelt es sich insbesondere um Beurkundungsverbote, die Verschwiegenheitspflicht des Notars und ein für ihn bestehendes Vermittlungs- und Beteiligungsverbot. Weiter sichert ein spezielles Werbeverbot, dass der Notar in seiner Amtstätigkeit nicht auf sonstige – erlaubte – Nebentätigkeiten hinweist. Der Bundesgesetzgeber selbst hat sogar für konkrete Fälle, in denen sich im Rahmen eines Beurkundungsvorgangs tatsächlich Berührungspunkte zwischen den Tätigkeiten als Notar und als Aufsichtsratsmitglied ergeben, in der primär mit Überwachungsaufgaben verbundenen Mitwirkung eines Notars in einem Aufsichtsorgan keine generelle Gefährdung seiner Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gesehen. Er hat deshalb seine ursprüngliche Absicht aufgegeben, im Falle der Zugehörigkeit eines Notars zu einem Aufsichtsrat diesem ein Beurkundungsverbot aufzuerlegen. Dem Gesetzgeber genügt die Offenlegung der Beziehung als ausreichendes Mittel, um dem bösen Schein zu begegnen, weil dies die andere Partei berechtigt, für die Beurkundung einen Notarwechsel zu verlangen. Der mögliche böse Schein lässt sich auch nicht nur darauf stützen, dass die Notare die ihnen auferlegten Pflichten durchweg missachten könnten. Ginge man nämlich davon aus, dürfte man sie nicht länger als selbstständige Amtsträger walten lassen.
Der Besorgnis, Notare könnten ihre Tätigkeit zur Anwerbung neuer Mandate nutzen, im Beurkundungsbereich von ihrem Aufsichtsratsmandat profitieren oder ihr Gebührenaufkommen erhöhen, kann statt mit einer generellen Versagung der Nebentätigkeitsgenehmigung mit verschiedenen Auflagen begegnet werden. Zu denken ist an das vollständige oder weitgehende Verbot, in Angelegenheiten der Bank zu beurkunden oder sonst tätig zu werden. Selbst wenn die Tätigkeit des Notars im Aufsichtsrat in der Öffentlichkeit bekannt wird, kommt der Notar dann nicht in den Ruf, für die Bank parteilich oder abhängig zu arbeiten. Die Kammer hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die Stellung eines “Hausnotars” auch ohne Mitwirkung in irgendwelchen Organen der Banken entstehen kann. Denn regelmäßige Geschäftsbeziehungen, denen durchaus Gefährdungspotenzial für das unabhängige und unparteiliche Notariat innewohnt, beruhen vornehmlich auf der wirtschaftlichen Macht des die notarielle Dienstleistung nachfragenden Mandanten.
Beschluss vom 23. September 2002 – 1 BvR 1717/00 und 1 BvR 1747/00 -.
Anlage
§ 8 Abs. 3 Bundesnotarordnung (BNotO):
(3) Der Notar bedarf der Genehmigung der Aufsichtsbehörde 1. zur Übernahme einer Nebenbeschäftigung gegen Vergütung, insbesondere zu einer gewerblichen Tätigkeit, 2. zum Eintritt in den Vorstand, Aufsichtsrat, Verwaltungsrat oder in ein sonstiges Organ einer auf Erwerb gerichteten Gesellschaft, Genossenschaft oder eines in einer anderen Rechtsform betriebenen wirtschaftlichen Unternehmens.
Die Genehmigung ist zu versagen, wenn die Tätigkeit nach Satz 1 mit dem öffentlichen Amt des Notars nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit gefährden kann. Vor der Entscheidung über die Genehmigung ist die Notarkammer anzuhören.Die Genehmigung kann mit Auflagen verbunden oder befristet werden.
§ 3 Beurkundungsgesetz (BeurkG)
(1) …..(2) Handelt es sich um eine Angelegenheit mehrerer Personen und ist der Notar früher in dieser Angelegenheit als gesetzlicher Vertreter oder Bevollmächtigter tätig gewesen oder ist er für eine dieser Personen in anderer Sache als Bevollmächtigter tätig, so soll er vor der Beurkundung darauf hinweisen und fragen, ob er die Beurkundung gleichwohl vornehmen soll. In der Urkunde soll er vermerken, daß dies geschehen ist.
(3) Absatz 2 gilt entsprechend, wenn es sich handelt um 1. Angelegenheiten einer Person, deren nicht zur Vertretung berechtigtem Organ der Notar angehört. 2. ….