BVerfG: Voraussetzungen für die rechtliche Anerkennung von Transsexuellen nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 Transsexuellengesetz verfassungswidrig

Voraussetzung einer Eheschließung ist die Verschiedengeschlechtlichkeit
der Ehegatten, während die Eingehung einer Lebenspartnerschaft nach § 1
Lebenspartnerschaftsgesetz nur zwischen gleichgeschlechtlichen Personen
möglich ist. In beiden Fällen wird auf das personenstandsrechtliche
Geschlecht abgestellt.

Das Transsexuellengesetz (TSG) sieht zwei Verfahren vor, die
Transsexuellen das Leben im empfundenen Geschlecht ermöglichen sollen.
Die sogenannte „kleine Lösung“ erlaubt es, den Vornamen zu ändern, ohne
dass zuvor operative geschlechtsanpassende Eingriffe stattgefunden haben
müssen. Hierfür ist gemäß § 1 Abs. 1 TSG im Wesentlichen erforderlich,
dass sich die Person auf Grund ihrer transsexuellen Prägung dem anderen
Geschlecht als zugehörig empfindet, seit mindestens drei Jahren unter
dem Zwang steht, ihren Vorstellungen entsprechend zu leben, und mit
hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sich ihr
Zugehörigkeitsempfinden zum anderen Geschlecht nicht mehr ändern wird.
Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist durch zwei Gutachten
voneinander unabhängiger Sachverständiger nachzuweisen.

Nur die sogenannte „große Lösung“ gemäß § 8 TSG führt dagegen zur
personenstandsrechtlichen Anerkennung des empfundenen Geschlechts mit
der Folge, dass sich die vom Geschlecht abhängigen Rechte und Pflichten
der betroffenen Person grundsätzlich nach dem neuen Geschlecht richten.
Sie setzt – neben den Erfordernissen des § 1 Abs. 1 TSG – gemäß § 8 Abs.
1 Nr. 3 und 4 TSG zusätzlich voraus, dass die Person dauernd
fortpflanzungsunfähig ist (Nr. 3) und sich einem ihre äußeren
Geschlechtsmerkmale verändernden operativen Eingriff unterzogen hat,
durch den eine deutliche Annäherung an das Erscheinungsbild des anderen
Geschlechts erreicht worden ist (Nr. 4). Hierfür sind bei einer
Mann-zu-Frau Transsexuellen die Amputation des Penisschaftes und der
Hoden sowie die operative Bildung der äußeren primären weiblichen
Geschlechtsorgane erforderlich; bei Frau-zu-Mann Transsexuellen die
operative Entfernung der Gebärmutter, der Eierstöcke und des Eileiters
sowie oftmals eine Brustverkleinerung.

Die jetzt 62-jährige Beschwerdeführerin wurde mit männlichen äußeren
Geschlechtsmerkmalen geboren. Sie empfindet sich jedoch als Angehörige
des weiblichen Geschlechts. Als solche ist sie homosexuell orientiert
und lebt in einer Partnerschaft mit einer Frau. Sie hat gemäß § 1 TSG
ihren männlichen in einen weiblichen Vornamen geändert. Eine Änderung
des Personenstandes („große Lösung“) erfolgte nicht, da die notwendigen
operativen Eingriffe nicht vorgenommen worden waren. Ihren zusammen mit
ihrer Partnerin gestellten Antrag auf Eintragung einer
Lebenspartnerschaft lehnte der Standesbeamte ab, weil diese nur für zwei
Beteiligte des gleichen Geschlechts eröffnet sei. Das Amtsgericht
bestätigte die Entscheidung mit dem Hinweis, dass den Beteiligten nur
die Möglichkeit der Eheschließung offen stehe, da für eine
personenstandsrechtliche Anerkennung der Beschwerdeführerin als Frau die
geschlechtsanpassende Operation erforderlich sei. Ihre hiergegen
erhobene Beschwerde vor dem Landgericht sowie ihre weitere Beschwerde
vor dem Kammergericht blieben erfolglos.

Mit ihrer im Dezember 2007 erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt die
Beschwerdeführerin im Wesentlichen eine Verletzung ihres allgemeinen
Persönlichkeitsrechts in seiner Ausprägung als Recht auf sexuelle
Selbstbestimmung. Als empfundene Frau, die eine Frau zur Partnerin habe,
wolle sie eine Lebenspartnerschaft begründen. Eine Eheschließung sei ihr
nicht zumutbar, da sie dadurch rechtlich als Mann eingestuft würde.
Zudem würde angesichts ihres weiblichen Vornamens offenkundig, dass eine
der beiden Frauen transsexuell sei, wodurch ein unauffälliges und
diskriminierungsfreies Leben in der neuen Rolle unmöglich würde. Eine
geschlechtsanpassende Operation sei aufgrund ihres Alters mit nicht
abzuschätzenden gesundheitlichen Risiken verbunden.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4 TSG normierten Voraussetzungen der
personenstandsrechtlichen Anerkennung Transsexueller zur Eingehung einer
Lebenspartnerschaft mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus Art.
2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht auf
körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG nicht vereinbar sind.
Die Vorschriften sind bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen
Neuregelung nicht anwendbar. Da die mittelbar auf § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 4
TSG beruhenden fachgerichtlichen Entscheidungen die Beschwerdeführerin
in ihren Grundrechten verletzen, ist der Beschluss des Kammergerichts
aufgehoben und zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen worden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

1. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. Dass die Beschwerdeführerin
während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens zwischenzeitlich die Ehe
eingegangen ist, weil sie angesichts ihres Alters und des sich
hinziehenden Verfahrens mit der rechtlichen Absicherung ihrer
Partnerschaft nicht länger warten wollte, lässt ihr
Rechtsschutzbedürfnis nicht entfallen. Denn ihr und ihrer Partnerin war
es insoweit nicht zumutbar, ihr Bedürfnis nach gegenseitiger Absicherung
und Versorgung weiter hintanzustellen. Zudem ist sie auch nach der
Eheschließung weiterhin in ihrem eigenen Identitätsempfinden als Frau
betroffen und damit konfrontiert, dass ihre Transsexualität aufgrund der
ehelichen Verbindung mit ihrer Partnerin offenkundig geworden ist.

2. Es verstößt gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner
Ausprägung als Recht auf sexuelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, dass Transsexuelle mit
gleichgeschlechtlicher Orientierung zur rechtlichen Absicherung ihrer
Partnerschaft entweder die Ehe eingehen oder sich geschlechtsändernden
und die Zeugungsunfähigkeit herbeiführenden operativen Eingriffen
aussetzen müssen, um personenstandsrechtlich im empfundenen Geschlecht
anerkannt zu werden und damit eine eingetragene Lebenspartnerschaft
begründen zu können, die ihrer als gleichgeschlechtlich empfundenen
Partnerbeziehung entspricht.

a) Der Verweis auf die Eheschließung zur Absicherung einer Partnerschaft
ist einer transsexuellen Person mit gleichgeschlechtlicher Orientierung,
die lediglich die Voraussetzungen der Namensänderung nach § 1 TSG
erfüllt, nicht zumutbar. Zum einen wird sie durch die Ehe als
verschiedengeschlechtlicher Verbindung rechtlich und nach außen
erkennbar in eine Geschlechterrolle verwiesen, die ihrer selbst
empfundenen widerspricht. Dies verstößt gegen das verfassungsrechtliche
Gebot auf Anerkennung der selbst empfundenen geschlechtlichen Identität.
Zum anderen wird durch eine Eheschließung offenkundig, dass es sich bei
ihr oder ihrem angeheirateten Partner um einen Transsexuellen handelt,
weil ihre Namensänderung und ihr dem empfundenen Geschlecht angepasstes
äußeres Erscheinungsbild die Gleichgeschlechtlichkeit der Beziehung
offenbart. Damit bleibt ihr verfassungsrechtlich garantierter Schutz der
Intimsphäre vor ungewollten Einblicken nicht gewahrt.

b) Mit dem Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und körperliche
Unversehrtheit ist es ferner nicht vereinbar, dass Transsexuelle zur
Absicherung einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft nur dann eine
eingetragene Lebenspartnerschaft begründen können, wenn sie sich einer
geschlechtsändernden Operation unterzogen haben sowie dauerhaft
fortpflanzungsunfähig sind und aufgrund dessen personenstandsrechtlich
anerkannt worden sind.

Verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, dass der Gesetzgeber beim
Zugang zu einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auch bei
Transsexuellen mit homosexueller Orientierung auf das
personenstandsrechtlich festgestellte Geschlecht der Partner abstellt
und die personenstandsrechtliche Geschlechtsbestimmung von
objektivierbaren Voraussetzungen abhängig macht, um dem Personenstand
Dauerhaftigkeit und Eindeutigkeit zu verleihen und ein Auseinanderfallen
von biologischer und rechtlicher Geschlechtszugehörigkeit zu vermeiden.
Der Gesetzgeber kann daher – auch über die Voraussetzungen des § 1 Abs.1
TSG hinaus – näher bestimmen, wie der Nachweis der Stabilität und
Irreversibilität des Empfindens und Lebens von Transsexuellen im anderen
Geschlecht zu führen ist. An diesen Nachweis stellt er aber zu hohe, den
Betroffenen unzumutbare Anforderungen, indem er in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und
4 TSG von ihnen unbedingt und ausnahmslos verlangt, sich Operationen zu
unterziehen, die ihre Geschlechtsmerkmale verändern und zur
Zeugungsunfähigkeit führen.

Eine geschlechtsumwandelnde Operation stellt eine massive
Beeinträchtigung der von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten körperlichen
Unversehrtheit mit erheblichen gesundheitlichen Risiken und
Nebenwirkungen für den Betroffenen dar. Nach dem heutigen
wissenschaftlichen Kenntnisstand ist sie jedoch auch bei einer
weitgehend sicheren Diagnose der Transsexualität nicht stets indiziert.
Die Dauerhaftigkeit und Irreversibilität des empfundenen Geschlechts bei
Transsexuellen lässt sich nicht am Grad der operativen Anpassung ihrer
äußeren Geschlechtsmerkmale messen, sondern vielmehr daran, wie
konsequent sie in ihrem empfundenen Geschlecht leben. Die unbedingte
Voraussetzung einer operativen Geschlechtsumwandlung nach § 8 Abs. 1 Nr.
4 TSG stellte eine übermäßige Anforderung dar, da sie von Transsexuellen
verlangt, sich auch dann dem Eingriff auszusetzen und gesundheitliche
Beeinträchtigungen hinzunehmen, wenn dies im jeweiligen Fall nicht
indiziert und für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der
Transsexualität nicht erforderlich ist.

Gleiches gilt im Hinblick auf die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 TSG zur
personenstandsrechtlichen Anerkennung geforderte dauernde
Fortpflanzungsunfähigkeit, soweit für ihre Dauerhaftigkeit operative
Eingriffe zur Voraussetzung gemacht werden. Zwar verfolgt der
Gesetzgeber mit dieser Voraussetzung das berechtigte Anliegen,
auszuschließen, dass rechtlich dem männlichen Geschlecht zugehörige
Personen Kinder gebären oder rechtlich dem weiblichen Geschlecht
zugehörige Personen Kinder zeugen, weil dies dem Geschlechtsverständnis
widerspräche und weitreichende Folgen für die Rechtsordnung hätte. Diese
Gründe vermögen aber im Rahmen der gebotenen Abwägung die erhebliche
Grundrechtsbeeinträchtigung der Betroffenen nicht zu rechtfertigen, weil
dem Recht der Transsexuellen auf sexuelle Selbstbestimmung unter Wahrung
ihrer körperlichen Unversehrtheit größeres Gewicht beizumessen ist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Fälle des Auseinanderfallens von
rechtlicher Geschlechtszuordnung und Erzeuger- beziehungsweise
Gebärendenrolle angesichts der kleinen Gruppe transsexueller Menschen
nur selten vorkommen werden. Zudem wird dadurch vornehmlich die
Zuordnung der geborenen Kinder zu Vater und Mutter berührt. Insoweit
kann aber rechtlich sichergestellt werden, dass den betroffenen Kindern
trotz der rechtlichen Geschlechtsänderung eines Elternteils rechtlich
immer ein Vater und eine Mutter zugewiesen bleiben beziehungsweise
werden. So bestimmt § 11 TSG, dass das Verhältnis rechtlich anerkannter
Transsexueller zu ihren Abkömmlingen unberührt bleibt; diese Regelung
kann dahingehend ausgelegt werden, dass sie auch für diejenigen Kinder
gilt, die erst nach der personenstandsrechtlichen Geschlechtsänderung
eines Elternteils geboren werden.

Pressemitteilung Nr. 7/2011 vom 28. Januar 2011

Beschluss vom 11. Januar 2011
1 BvR 3295/07