BVerfG: Verfassungsbeschwerden zu Ostrenten erfolglos

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Verfassungsbeschwerden (Vb) von vier Beschwerdeführern
(Bf) im Zusammenhang mit der Überleitung von Renten aus dem Beitrittsgebiet in die
gesamtdeutsche Rentenversicherung zurückgewiesen. Die Bf hatten sich gegen die Nichtdynamisierung
des Auffüllbetrages und dessen ab 1. Januar 1996 einsetzende Abschmelzung sowie gegen die Berechnung
ihrer Renten auf der Grundlage des durchschnittlichen Arbeitseinkommens der letzten 20 Jahre
gewandt.

Rechtlicher Hintergrund und Sachverhalt:

Nach dem Rentenrecht der DDR bestand eine einheitliche Sozialpflichtversicherung mit Versicherungsschutz
vor den Risiken des Alters, der Invalidität und des Todes. Die Rente übernahm teilweise Funktionen
der sozialen Sicherung, die in der Bundesrepublik der Sozialhilfe zukommt. Ein weiterer wichtiger
Unterschied gegenüber der Rentenberechnung in der Bundesrepublik lag darin, dass Grundlage der Rentenberechnung
nur der in den letzten 20 Jahren vor Beendigung der letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit
erzielte beitragspflichtige Durchschnittsverdienst war. Die Renten wurden – anders als in der Bundesrepublik
– nicht regelmäßig der Lohnentwicklung angepasst.

Das Recht der beiden deutschen Staaten auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung wurde in
mehreren Schritten zusammengeführt. Mit dem Renten-Überleitungsgesetz wurde schließlich ein einheitliches
lohn- und beitragsbezogenes Rentenrecht im gesamten Bundesgebiet geschaffen, das das Rentenversicherungsrecht
mit Wirkung zum 1. Januar 1992 als 6. Buch in das Sozialgesetzbuch (SGB VI) einfügte.
Auf der Grundlage des SGB VI wurden die vier Millionen Bestandsrenten (Ost) umgewertet. Die
Rentenberechnung erfolgte nach dem Durchschnittseinkommen der letzten 20 Jahre vor Beendigung der
letzten versicherungspflichtigen Tätigkeit. Stellte sich im Zuge der Umwertung der Renten heraus, dass
die Rentenberechnung auf Grund des SGB VI zu einer geringeren Rente als der im Dezember 1991 geleistete
Zahlbetrag führte, war nach § 315 a SGB VI aus Vertrauensschutzgründen der Differenzbetrag zunächst als “statischer” Betrag neben der SGB VI-Rente weiter zu zahlen. Der so ermittelte Auffüllbetrag
war jedoch ab dem 1. Januar 1996 schrittweise zu vermindern. Von den umgewerteten Renten enthielten
mehr als zwei Drittel – also etwa 2,5 Millionen – einen Auffüllbetrag. Dessen monatlicher Durchnittswert
betrug 241, 55 DM.

Die vier Bf bezogen Altersrenten nach dem Rentenrecht der DDR, bevor ihre Renten in die gesamtdeutsche
Rentenversicherung übergeleitet wurden. Zwei Bf wenden sich mit ihrer Vb gegen die Nichtdynamisierung
des Auffüllbetrages und seine Abschmelzung. Alle Bf wenden sich außerdem dagegen, dass die
Rente nach dem Durchschnittseinkommen der letzten 20 Jahre berechnet wird und keine Vergleichsberechnung
auf der Grundlage der gesamten Versicherungsbiographie im Einzelfall beansprucht werden
kann.

(Anmerkung: Im Jahr 2001 wurden noch rund 850.000 Renten mit Auffüllbeträgen gezahlt. Der Durchschnittswert
belief sich auf ca. 75 Euro monatlich. Die Kosten einer zum 1. Januar 1992 durchgeführten
Dynamisierung aller Auffüllbeträge werden auf ca. 20 Mrd. Euro (BfA) bzw. 28 Mrd. Euro (Bundesregierung)
geschätzt.)

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die Gewährung des Unterschiedsbetrages zwischen der den Beteiligten im Dezember 1991 zustehenden
Bestandsrente und der nach dem SGB VI geleisteten Rente als nicht dynamisierter “statischer” Auffüllbetrag
und dessen Abschmelzung (§ 307 a Abs. 1 in Verbindung mit § 315 a Satz 1, 4 und
5 SGB VI) sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG (Eigentumsgarantie) liegt nicht vor. Es bedarf keiner Entscheidung,
ob die den Bf am 31. Dezember 1991 geleisteten Renten der Eigentumsgarantie unterlagen. Die
angegriffene Vorschrift läge jedenfalls innerhalb des Regelungsspielraums, den Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG
dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung eigentumsrechtlich geschützter sozialrechtlicher Rechtspositionen
eröffnet. Sie beruht auf dem dem Gemeinwohl dienenden Ziel des Gesetzgebers, ab dem 1. Januar 1992
die gesetzliche Rentenversicherung in Deutschland für alle Bestands- und Zugangsrentner in den alten und neuen Bundesländern auf die einheitliche Rechtsgrundlage des SGB VI zu stellen. Die dafür vorgesehenen
Maßnahmen sind auch verhältnismäßig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Höhe des am
31. Dezember 1991 den Berechtigten zustehenden Zahlbetrags auf eine Reihe von überdurchschnittlich
hohen Sonderanpassungen in den Jahren 1990 und 1991 zurückging. Der Zahlbetrag war auch deshalb
vergleichsweise hoch, weil die beitragsfreien Zurechnungszeiten des Rentenrechts der DDR wie Arbeitszeiten
behandelt wurden. Den so bestimmten Zahlbetrag gewährleistete das Gesetz unverändert bis zum
31. Dezember 1995. Erst danach ist er schrittweise und unter „Verrechnung„ mit der Steigerung der
Renten aus allgemeinen Rentenanpassungen verringert worden. Der Gesetzgeber hat damit eine Regelung
getroffen, die die Bestandsrenten im Rahmen des Systemwechsels in behutsamer Weise an das neue
Recht heranführt. Er war unter keinem verfassungsrechtlichen Gesichtspunkt gehalten, den Bestandrentnern
der neuen Bundesländer die strukturellen Vorteile der Sozialversicherung der DDR zu erhalten und
zugleich die Vorteile des gesamtdeutschen Rentenversicherungsrechts zugute kommen zu lassen.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG (allgemeiner Gleichheitssatz) ist nicht verletzt. Die Entscheidung des Gesetzgebers,
bei der Neuberechnung der Renten auf der Grundlage des SGB VI die Berechnungselemente nicht
zu berücksichtigen, die dem gesamtdeutschen Rentenrecht fremd sind, diente dem Ziel der Rechtseinheit.

Dies gilt insbesondere für die Regelungen des Sozialversicherungssystems der DDR, die dem Fürsorgeprinzip
entsprangen und im System einer beitragsfinanzierten gesetzlichen Rente nach dem Konzept des
SGB VI keinen Platz mehr haben. Es war auch unter dem Gesichtspunkt des Konzeptwechsels folgerichtig,
dass der Gesetzgeber die Geltung des SGB VI auf diejenigen erstreckte, die bei dessen In-Kraft-Treten am 1. Januar 1992 bereits auf der Grundlage des Rechts der DDR Rente bezogen. Hätte
er diese Gruppe, die mehrere Millionen Menschen umfasste, von der Überleitung ausgenommen, wäre
das Ziel eines einheitlichen Rentenrechts für alle Versichterten und Rentenberechtigten auf lange Sicht
nicht erreicht worden. Die Beibehaltung des bisherigen Rechts für diesen Personenkreis hätte zu schwer
hinnehmbaren Unterschieden im Vergleich zu den Versicherten aus dem Beitrittsgebiet geführt, die nach
dem 1. Januar 1992 rentenberechtigt wurden, aber auch zu den Bestands- und Zugangsrentnern des
alten Bundesgebietes, deren Renten auf der Grundlage des SGB VI berechnet wurden und werden.

2. Soweit nach § 307 a Abs. 2 Satz 1 SGB VI der Rentenberechnung ausschließlich das versicherte
durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten 20 Jahre vor dem Rentenbeginn zugrunde zu legen ist, ist diese Regelung mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Vorschrift benachteiligt zwar diejenigen Bestandsrentner,
die wegen Besonderheiten ihrer Versicherungsbiographie eine höhere Rente zu erwarten hätten,
würde der Berechnung das Arbeitseinkommen während der gesamten Versicherungszeit zugrunde gelegt
werden. Diese Ungleichbehandlung ist aber hinreichend gerechtfertigt. Da es nach der Rentenformel der
DDR nicht auf den gesamten pflichtversicherten Zeitraum ankam, lag beim In-Kraft-Treten des SGB VI
kein zuverlässiges Datenmaterial für die Feststellung rentenrechtlicher Zeiten vor 1971 vor. Hätte der
Gesetzgeber entschieden, alle Versicherungsjahre in die Rentenberechnung einzubeziehen, hätten die
zuständigen Stellen vor großen und teilweise sogar unüberwindlichen Schwierigkeiten gestanden. Seine
Entscheidung, die Rentenformel der DDR im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitraum fortzuführen, hat
deshalb wesentlich dazu beigetragen, die Umwertung der etwa vier Millionen Bestandsrenten des Beitrittsgebiets
zeitnah zu bewältigen und Zahlungskontinuität zu gewährleisten. Hinzukommt, dass die Berechnung
der Rente auf der Grundlage des Zwanzigjahreszeitraums nur in atypisch gelagerten Fällen zu
Nachteilen für die Betroffenen führt.

Beschluss vom 11. Mai 2005 – 1 BvR 368/97, 1 BvR 1304/98, 1 BvR 2300/98 und 1 BvR 2144/00 –

Karlsruhe, den 25. Mai 2005