Nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3
Einkommensteuergesetz in der für das Streitjahr 1997 geltenden Fassung
wird die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs von Beiträgen zur
privaten Krankenversicherung betragsmäßig beschränkt. Der
Bundesfinanzhof hält diese Beschränkung für verfassungswidrig, weil die
gesetzlichen Höchstbeträge dem Steuerpflichtigen nicht ermöglichten, in
angemessenem Umfang Krankenversicherungsschutz zu erlangen. Daher legte
er die Frage dem Bundesverfassungsgericht vor. Der Vorlage liegt der
Fall eines freiberuflich tätigen Rechtsanwalts und seiner nicht
berufstätigen Ehefrau zugrunde, die Eltern von sechs Kindern sind.
Sämtliche Familienmitglieder waren 1997 privat kranken- und
pflegeversichert. Die Beiträge beliefen sich auf 36.032,47 DM. In ihrer
Einkommensteuererklärung 1997 machten sie insgesamt
Vorsorgeaufwendungen von ca. 66.000 DM geltend, darunter die genannten
Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge. Der vom Finanzamt unter
Hinweis auf § 10 Abs. 3 EStG insgesamt zum Abzug zugelassene Betrag
belief sich jedoch nur auf 19.830 DM.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass § 10
Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG sowie alle
nachfolgenden Fassungen mit dem Grundgesetz unvereinbar sind, soweit
der Sonderausgabenabzug die Beiträge zu einer privaten
Krankheitskostenversicherung und einer privaten Pflegeversicherung
nicht ausreichend erfasst, die dem Umfang nach erforderlich sind, um
dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche
Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten. Der Gesetzgeber ist
verpflichtet, spätestens mit Wirkung zum 1. Januar 2010 eine
Neuregelung zu treffen. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die
betreffenden einkommensteuerrechtlichen Vorschriften sowie die
Nachfolgeregelungen weiter anwendbar.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
 I. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG in
   der für den Veranlagungszeitraum 1997 geltenden Fassung verletzt
   nicht im Hinblick darauf den allgemeinen Gleichheitssatz, dass der
   Vorwegabzug, der Selbstständigen für ihre Beiträge zu privaten
   Kranken- und Pflegepflichtversicherungen gewährt wird, hinter den
   entsprechenden Beträgen der Zukunftssicherungsleistungen des
   Arbeitgebers für Arbeitnehmer (insbesondere Arbeitgeberbeiträge zur
   Sozialversicherung) nach § 3 Nr. 62 Satz 1 EStG zurückbleibt.
   Die Beiträge der Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung
   dienen nicht allein der Absicherung ihres eigenen
   Krankheitsrisikos, sondern zugleich dem sozialen Ausgleich und der
   Umverteilung. Neben der Entkoppelung der Beitragshöhe vom
   versicherten Krankheitsrisiko ist auch das Leistungsniveau
   weitgehend unabhängig von der Höhe der gezahlten Beiträge. Die
   Bemessung der Beiträge zu einer privaten Krankenversicherung
   bestimmt sich dagegen nach dem versicherten Risiko. Bei privaten
   Krankenversicherungsbeiträgen kann daher davon ausgegangen werden,
   dass einem höheren Beitrag ein höherer Vorteil des Beitragszahlers
   entspricht. Vor dem Hintergrund dieser wesentlichen
   Systemunterschiede hat der Gesetzgeber mit der Bestimmung der Höhe
   des Vorwegabzugs einerseits und der Ausgestaltung der
   Kürzungsregelung für sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer
   andererseits seinen Gestaltungsspielraum nicht überschritten. Der
   Vorwegabzug gewährt der Höhe nach eine zwar nicht vollständige,
   aber doch spürbare Entlastung der Kranken- und
   Pflegeversicherungsbeiträge von Steuerpflichtigen und trägt damit
   dem Kompensationsbedürfnis in einer offenkundig nicht willkürlichen
   Weise Rechnung.
II. Die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a in Verbindung mit §
   10 Abs. 3 EStG in der für den Veranlagungszeitraum 1997 geltenden
   Fassung ist jedoch mit dem Grundgesetz unvereinbar, soweit die
   Beiträge zu einer privaten Krankheitskostenversicherung und einer
   privaten Pflegepflichtversicherung nicht ausreichend erfasst
   werden, die dem Umfang nach erforderlich sind, um dem
   Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche
   Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten. Dies trifft auch
   für die nachfolgenden Gesetzesfassungen zu.
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   1. Nach dem Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums hat der
      Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen,
      als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines
      menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt.
      gewährleistet wird ein Schutz des Lebensstandards auf
      Sozialhilfeniveau. Das Prinzip der Steuerfreiheit des
      Existenzminimums schützt nicht nur das sogenannte sächliche
      Existenzminimum (z. B. Aufwendungen für Nahrung, Kleidung,
      Hausrat, Wohnung und Heizung). Auch Beiträge zu privaten
      Versicherungen für den Krankheits- und Pflegefall können Teile
      des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums
      sein; denn auch die Kranken- und Pflegeversorgung ist integraler
      Bestandteil des Leistungskatalogs der Sozialhilfe.
   2. Eine dem Umfang nach hinreichende steuerliche Freistellung der
      zur Sicherung des Existenzminimums erforderlichen Beiträge zur
      privaten Kranken und Pflegeversicherung durch § 10 Abs. 1 Nr. 2
      Buchstabe a in Verbindung mit § 10 Abs. 3 EStG kann nicht
      festgestellt werden. Betrachtet man – im Rahmen einer
      Evidenzkontrolle – beispielhaft die von den Klägern des
      Ausgangsverfahrens aufgewendeten Beiträge, so zeigt sich, dass
      eine hinreichende steuerliche Entlastung offensichtlich nicht
      gewährleistet ist.
      Der Gesetzgeber hat die in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a EStG
      angelegte Entlastungsgrundentscheidung in den Höchstbeträgen des
      § 10 Abs. 3 EStG für die Krankheitskostenversicherung bezogen
      auf das Ziel einer realitätsgerechten Freistellung des
      Existenzminimums nicht folgerichtig umgesetzt. Zwar ist der
      Steuergesetzgeber nicht gehalten, die Beiträge zu “normalen”
      privaten Krankheitskostenversicherungen von Verfassungs wegen
      stets zu 100% zu berücksichtigen. Vielmehr müssen nur die zur
      Erlangung eines sozialhilfegleichen Lebensstandards
      erforderlichen Aufwendungen berücksichtigt werden. Der
      Gesetzgeber kann die Privatversicherten daher darauf verweisen,
      dass ein Teil ihrer Beiträge bei der Einkommensteuer
      unberücksichtigt bleibt, soweit nach seiner Einschätzung das
      Versorgungsniveau von privaten Krankenversicherungen
      üblicherweise über das wiederum an das Niveau der gesetzlichen
      Krankenversicherung angekoppelte Sozialhilfeniveau hinausgeht.
      Der Gesetzgeber hat eine von derartigen Erwägungen getragene und
      an entsprechenden Einschätzungen orientierte Entscheidung jedoch
      ersichtlich nicht getroffen. Derselbe Mangel an folgerichtiger
      Ausgestaltung ist auch im Hinblick auf die Beiträge zur privaten
      Pflegepflichtversicherung festzustellen. Schließlich gilt auch
      für die Krankheitskostenversicherungen der Kinder nichts
      anderes, da für diese eine Entlastung in § 10 EStG überhaupt
      nicht vorgesehen ist.
      Die in § 10 Abs. 3 EStG für Beiträge zu privaten Kranken- und
      Pflegepflichtversicherungen niedergelegten Höchstbeträge sind
      auch nicht aus legitimen Erwägungen einer gesetzgeberischen
      Typisierung im Massenverfahren gerechtfertigt. Eine
      Typisierungsentscheidung, die nachvollziehbar an den
      existenznotwendigen Kranken- und Pflegeversicherungsaufwendungen
      der Steuerpflichtigen ausgerichtet ist, hat der Gesetzgeber
      bisher nicht getroffen.
   3. Der Gesetzgeber hat bei der Neuordnung des Abzugs von
      Sonderausgaben klarzustellen, welcher Anteil eines Höchstbetrags
      ausschließlich oder vorrangig für existenznotwendige Kranken-
      und Pflegeversicherungsbeiträge zur Verfügung steht. Er hat auch
      die Anforderungen an eine folgerichtige steuerrechtliche
      Verschonung des Existenzminimums der gesetzlich kranken- und
      pflegeversicherten Steuerpflichtigen zu beachten und dabei zu
      berücksichtigen, inwieweit das Leistungsniveau dieser
      Sozialversicherungszweige dem der Sozialhilfe beziehungsweise
      der Grundsicherung für Arbeitsuchende angenähert ist.
(Zum Sonderausgabenabzug von Beiträgen zu berufsständischen
Versorgungseinrichtungen für die Veranlagungszeiträume vor 2005 siehe
Pressemitteilung Nr. 33 vom 14. März 2008)
Pressemitteilung Nr. 32/2008 vom 14. März 2008
Beschluss vom 13. Februar 2008 ? 2 BvL 1/06 ?