BVerfG: Rückmeldegebühr von 100 DM pro Semester nach dem früheren Berliner Hochschulgesetz ist verfassungswidrig

Mit einem Beschluss vom 6. November 2012 hat der Zweite Senat des
Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die gesetzliche Regelung für
die Erhebung einer Rückmeldegebühr in Höhe von 100 DM im Berliner
Hochschulgesetz alter Fassung verfassungswidrig ist. Die für nichtig
erklärte Bestimmung wurde mit dem Haushaltsstrukturgesetz 1996
eingeführt. Seit dem 15. Dezember 2004 gilt eine veränderte
Gebührenregelung, auf die sich die vorliegende Entscheidung nicht
bezieht.

Die Kläger der Ausgangsverfahren streiten um die Rückzahlung von
Rückmeldegebühren, die sie als Studierende an Berliner Universitäten
entrichtet haben. Mit Beschlüssen vom 15. Februar 2006 hat das
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Ausgangsverfahren
ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung
vorgelegt, ob § 2 Abs. 8 Satz 2 des Berliner Hochschulgesetzes in den
jeweils maßgeblichen Fassungen insoweit mit dem Grundgesetz vereinbar
ist, als danach bei jeder Rückmeldung Gebühren von 100 DM pro Semester
erhoben werden.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

§ 2 Abs. 8 Satz 2 Berliner Hochschulgesetz a. F. ist, soweit danach bei
jeder Rückmeldung Gebühren in Höhe von 100 DM zu erheben waren, mit Art.
2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 104a ff. GG sowie mit Art. 3 Abs. 1 GG
unvereinbar und nichtig.

1. Die Erhebung nichtsteuerlicher Abgaben bedarf mit Blick auf die
Begrenzungs- und Schutzfunktion der Finanzverfassung (Art. 104a ff. GG)
und zur Wahrung der Belastungsgleichheit der Abgabepflichtigen (Art. 3
Abs. 1 GG) einer über den Zweck der Einnahmeerzielung hinausgehenden
besonderen sachlichen Rechtfertigung. Dies gilt für die Abgabenerhebung
sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach.

Gebühren sind als öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die in
Anknüpfung an eine individuell zurechenbare öffentliche Leistung erhoben
werden, um deren Kosten ganz oder teilweise zu decken, dem Grunde nach
durch ihre Ausgleichsfunktion gerechtfertigt.
Anerkannte Zwecke, die die Festlegung der Gebührenhöhe sachlich
rechtfertigen können, sind – neben der Kosten-deckung – der Ausgleich
von Vorteilen, die Verhaltenslenkung sowie soziale Gesichtspunkte.
Jedoch können nur Zwecke, die von einer erkennbaren gesetzgeberischen
Entscheidung getragen werden, die jeweilige Gebührenbemessung sachlich
rechtfertigen. Die verfassungsrechtliche Kontrolle der Gebührenbemessung
hat einen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu wahren. Eine
Gebührenregelung ist aber dann als sachlich nicht gerechtfertigt zu
beanstanden, wenn sie in einem groben Missverhältnis zu den verfolgten
legitimen Gebührenzwecken steht.

2. Diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben wird die Bemessung der bei
jeder Rückmeldung zu entrichtenden Gebühr von 100 DM nicht gerecht.

a) Nach der Auslegung des Oberverwaltungsgerichts, der zu folgen ist,
normiert die zur Prüfung gestellte Vorschrift keine einheitliche
Mischgebühr für die Fälle der Immatrikulation und der Rückmeldung. Es
handelt sich um zwei selbstständige, an unterschiedliche
Verwaltungsleistungen geknüpfte Gebührentatbestände. Die Rückmeldegebühr
dient daher allein dazu, die Kosten für die Bearbeitung der
Rückmeldungen zu decken.

Die hiergegen gerichteten Einwände des Abgeordnetenhauses und des Senats
greifen nicht durch. Diese bringen im Wesentlichen vor, die Gebühr gelte
auch Aufwendungen der Hochschule zur Erfüllung ihrer sonstigen Aufgaben
sowie Vorteile für die Studierenden aus der Inanspruchnahme der
Hochschule ab. Ein vom Senat erstellter Entwurf des
Haushaltsstrukturgesetzes 1996 habe zunächst eine Formulierung
enthalten, nach der ab dem Wintersemester 1996/97 „für“ die
Immatrikulation und „für“ jede Rückmeldung Gebühren von 100 DM pro
Semester zu erheben waren. Um Bedenken auszuräumen, die in
vorbereitenden Gremien der Koalitionsfraktionen geltend gemacht worden
seien, sei der Gesetzentwurf dahin geändert worden, dass das Wort „für“
durch „bei“ ersetzt wurde. Danach sei die Rückmeldung nur der Anlass für
die Erhebung einer Gebühr mit den genannten weiteren Zwecken.

Unabhängig von der Frage, ob gänzlich undokumentierten Vorgängen, wie
sie hier angeführt werden, überhaupt eine ausschlaggebende Bedeutung für
die Ermittlung des Willens des historischen Gesetzgebers beigemessen
werden kann, ist im vorliegenden Fall nicht einmal behauptet, dass der
Gesetzgeber, um dessen Willen es geht, von den angeführten Vorgängen
Kenntnis hatte. Die Darstellung der Hintergründe der Gesetzesformulierung
bezieht sich vielmehr auf politische Abstimmungsvorgänge in
vorbereitenden Gremien einzelner Fraktionen im Vorfeld der Einbringung
des Gesetzentwurfs. Aus dem maßgeblichen in das Abgeordnetenhaus
eingebrachten Gesetzentwurf war demgegenüber die Absicht einer Öffnung
des Gebührenzwecks über die Deckung der Verwaltungskosten von
Immatrikulation und Rückmeldung hinaus nicht ersichtlich. Denn die nach
dem Gesetzeswortlaut „bei“ Immatrikulation und Rückmeldung zu erhebende
Gebühr sollte ausweislich der Gesetzesbegründung gerade „für“ die
Immatrikulation und Rückmeldung erhoben werden. Selbst wenn sich der
Gesetzgebungsgeschichte die Absicht des Gesetzgebers entnehmen ließe,
mit der Verwendung des Wortes „bei“ im Gesetzestext den Gebührenzweck
über die Deckung der Verwaltungskosten von Immatrikulation und
Rückmeldung hinaus zu erweitern, bliebe damit ungeklärt, welche weiteren
Kostendeckungs- oder sonstigen Zwecke verfolgt werden sollten. Insoweit
würde es auch an einer klaren Abgrenzung von der nach § 2 Abs. 8 Satz 1
der Vorschrift zulässigen Benutzungsgebühr und von der nach § 2 Abs. 10
der Vorschrift verbotenen Studiengebühr fehlen.

Soweit das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin sich in ihrer
Stellungnahme auf den besonderen Zeitdruck berufen, unter dem der
Haushaltsstrukturgesetzgeber gestanden habe, kann dies nicht das
Erfordernis einer normenklaren Bestimmung des Gebührenzwecks außer Kraft
setzen.

b) Die festgesetzte Gebührenhöhe von 100 DM steht in grobem
Missverhältnis zu dem Zweck, die Kosten für die Bearbeitung der
Rückmeldung zu decken, die sich nach den nachvollziehbaren Berechnungen
des Oberverwaltungsgerichts auf durchschnittlich 22,41 DM beliefen. Ein
grobes Missverhältnis bestünde im Übrigen selbst dann noch, wenn die
betreffende Vorschrift so ausgelegt würde, dass sie eine einheitliche
Gebühr bei Immatrikulation und Rückmeldung regelt, um die Kosten beider
Verwaltungsvorgänge zu decken.

Pressemitteilung Nr. 80/2012 vom 28. November 2012
Beschluss vom 6. November 2012
2 BvL 51/06
2 BvL 52/06