BVerfG: Pauschaler Verzicht auf Staatenimmunität erfasst nicht die diplomatische Immunität von Botschaftskonten

Die Republik Argentinien bediente sich im Zusammenhang mit der
argentinischen Finanzkrise in erheblichem Umfang des Instruments der
Staatsanleihen. Solche Anleihen wurden auch auf dem deutschen
Kapitalmarkt aufgelegt und von deutschen Gläubigern gezeichnet. Diese
Anleihen unterfallen dem deutschen Recht. Die Republik Argentinien
formulierte in den Anleihebedingungen einen allgemeinen

Immunitätsverzicht, der sich auf das gerichtliche (Erkenntnis-)
Verfahren und die anschließende Zwangsvollstreckung erstreckt. Nachdem
eine Gläubigerin ein Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main erwirkt
hatte, durch das die Republik Argentinien zur Zahlung von 766.937, 82
Euro verurteilt wurde, ordnete das Amtsgericht Berlin-Mitte die
Pfändung der bei der Deutschen Bank belegenen Konten der argentinischen
Botschaft an. Auf Erinnerung der Republik Argentinien stellte das
Amtsgericht die Zwangsvollstreckung einstweilen ein und legte dem
Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 2 GG die Frage vor, ob es
eine allgemeine Regel des Völkerrechts gebe, nach der ein lediglich
pauschaler Immunitätsverzicht zur Aufhebung des Schutzes der Immunität
auch für solches Vermögen genügt, das dem Entsendestaat im
Empfangsstaat zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit seiner
diplomatischen Mission dient.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis,
dass eine solche allgemeine Regel des Völkerrechts nicht feststellbar
sei. Aus der Staatenpraxis und dem völkerrechtlichen Schrifttum ergebe
sich, dass ein allgemeiner, in den Anleihebedingungen eines
ausländischen Staates enthaltener Immunitätsverzicht zwar geeignet sei,
die allgemeine Staatenimmunität im Erkenntnis- und

Vollstreckungsverfahren aufzuheben. Die Zustimmung zur Vollstreckung
auch in solches Vermögen, welches der Aufrechterhaltung des Betriebs
der diplomatischen Mission des Entsendestaats dient, werde darin von
Völkerrechts wegen aber nicht gesehen. Dies sei eine Folge des im
Völkerrechtsverkehr anerkannt hohen Schutzniveaus diplomatischer
Belange, das sich in dem Wiener Übereinkommen über diplomatische
Beziehungen sowie ergänzendem Völkergewohnheitsrecht zeige.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Im Zusammenhang mit Fragen der Immunität von Staaten im Erkenntnis-
und im Vollstreckungsverfahren vor deutschen Gerichten und der

Vollstreckung in diplomatisch genutztes Vermögen ist zwischen der

allgemeinen Staatenimmunität einerseits und der spezifischen

diplomatischen Immunität der Mission eines ausländischen Staates

andererseits zu unterscheiden. Staatenimmunität und diplomatische

Immunität stellen unterschiedliche Institute des Völkerrechts mit

jeweils eigenen Regeln dar. Der besondere und weit reichende Schutz

der diplomatischen Mission im Empfangsstaat ist ein Element, das in

der Staatenpraxis besonders hervorgehoben wird, weil damit die

diplomatischen Beziehungen von Staaten stehen und fallen.

2. Grundsätzlich können Staaten auf ihre allgemeine Immunität im
Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren verzichten. Die

Staatenpraxis unterscheidet bei der Vollstreckung weitgehend

zwischen Vermögen eines Staates, das kommerziellen Zwecken dient,

und solchen Vermögensgegenständen oder -werten, die hoheitlichen

Zwecken dienen. Im Vollstreckungsstaat belegene Vermögenswerte, die

nicht hoheitlich genutzt werden, unterliegen im Ergebnis regelmäßig

der Zwangsvollstreckung, ohne dass eine Einwilligung oder ein

Immunitätsverzicht seitens des Schuldnerstaates erforderlich wären.

Die Zwangsvollstreckung in im Vollstreckungsstaat belegenes oder

dort befindliches Vermögen, das hoheitlichen Zwecken eines

ausländischen Staates dient, ist dagegen ohne die Einwilligung des

betreffenden Staates nicht zulässig. Allerdings ist die Möglichkeit

eines Immunitätsverzichts, der sich auf hoheitlich genutztes

Vermögen erstreckt, anerkannt.

3. Aus der völkerrechtlichen Trennung zwischen der allgemeinen
Staatenimmunität und der diplomatischen Immunität ergibt sich, dass

Möglichkeit und Anforderungen an einen Verzicht auf die

diplomatische Immunität nicht von den Regeln über die allgemeine

Staatenimmunität mit umfasst werden. Der spezielle, aus dem Recht

der diplomatischen Beziehungen abgeleitete Sonderstatus des

Vermögens, das zur Aufrechterhaltung des Betriebs einer

diplomatischen Mission im Empfangsstaat bestimmt ist, gewährt

besonderen Schutz. Das Völkergewohnheitsrecht schließt Maßnahmen der

Sicherung oder Zwangsvollstreckung in Gegenstände aus, die der

diplomatischen Vertretung eines fremden Staates zur Wahrnehmung

ihrer amtlichen Funktionen dienen, soweit durch sie die Erfüllung

diplomatischer Aufgaben beeinträchtigt werden könnte. Aus dem

Grundsatz, dass sich der Empfangsstaat jeglicher Aktivitäten zu

enthalten hat, die die Funktion der diplomatischen Mission zu

beeinträchtigen geeignet sind, folgt, dass ein ausländischer Staat

gegen die Vollstreckung in Gegenstände oder Vermögenswerte, die dem

Betrieb seiner diplomatischen Mission dienen, die Unverletzlichkeit

der Mission einwenden kann.

Trotz des hohen Schutzniveaus, das Gegenstände und Vermögenswerte,

die diplomatischen Zwecken dienen, genießen, ist aber ein Verzicht

auch auf die besondere diplomatische Immunität grundsätzlich

möglich. Der Entsendestaat kann auf das Vorrecht des Schutzes durch

den Empfangsstaat verzichten und dadurch auch die Vollstreckung in

sein diplomatisch genutztes Vermögen ermöglichen.

4. Anhaltspunkte dafür, dass auch ein bloß pauschaler Verzicht, der
weder den diplomatischen Schutz noch das darunter fallende Vermögen

besonders erwähnt, ausreichen soll, diesen besonderen Schutz zu

überwinden, lassen sich der Staatenpraxis, wie sie sich insbesondere

in nationalen Gerichtsentscheidungen – etwa deutscher, britischer,

US-amerikanischer, französischer und schwedischer Gerichte –

niederschlägt, nicht in einem für die Allgemeinheit der Geltung

einer solchen Regel ausreichenden Maße entnehmen. Auch aus

Regelungen des diplomatischen Verkehrs, den Arbeiten der

Völkerrechtskommission und dem völkerrechtlichen Schrifttum, das als

Anhaltspunkt für die Existenz von Gewohnheitsrecht ergänzend

herangezogen werden kann, lässt sich nicht ableiten, dass eine

allgemeine Regel des Völkerrechts existiert, wonach ein pauschaler

Verzicht auf die Immunität geeignet wäre, die diplomatische

Immunität von Botschaftskonten aufzuheben.

Pressemitteilung Nr. 121/2006 vom 21. Oktober 2006

Zum Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 2 BvM 9/03 –