Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts kam zu dem Ergebnis,
dass eine solche allgemeine Regel des Völkerrechts nicht feststellbar
sei. Aus der Staatenpraxis und dem völkerrechtlichen Schrifttum ergebe
sich, dass ein allgemeiner, in den Anleihebedingungen eines
ausländischen Staates enthaltener Immunitätsverzicht zwar geeignet sei,
die allgemeine Staatenimmunität im Erkenntnis- und
Vollstreckungsverfahren aufzuheben. Die Zustimmung zur Vollstreckung
auch in solches Vermögen, welches der Aufrechterhaltung des Betriebs
der diplomatischen Mission des Entsendestaats dient, werde darin von
Völkerrechts wegen aber nicht gesehen. Dies sei eine Folge des im
Völkerrechtsverkehr anerkannt hohen Schutzniveaus diplomatischer
Belange, das sich in dem Wiener Übereinkommen über diplomatische
Beziehungen sowie ergänzendem Völkergewohnheitsrecht zeige.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
1. Im Zusammenhang mit Fragen der Immunität von Staaten im Erkenntnis-
und im Vollstreckungsverfahren vor deutschen Gerichten und der
Vollstreckung in diplomatisch genutztes Vermögen ist zwischen der
allgemeinen Staatenimmunität einerseits und der spezifischen
diplomatischen Immunität der Mission eines ausländischen Staates
andererseits zu unterscheiden. Staatenimmunität und diplomatische
Immunität stellen unterschiedliche Institute des Völkerrechts mit
jeweils eigenen Regeln dar. Der besondere und weit reichende Schutz
der diplomatischen Mission im Empfangsstaat ist ein Element, das in
der Staatenpraxis besonders hervorgehoben wird, weil damit die
diplomatischen Beziehungen von Staaten stehen und fallen.
2. Grundsätzlich können Staaten auf ihre allgemeine Immunität im
Erkenntnis- und im Vollstreckungsverfahren verzichten. Die
Staatenpraxis unterscheidet bei der Vollstreckung weitgehend
zwischen Vermögen eines Staates, das kommerziellen Zwecken dient,
und solchen Vermögensgegenständen oder -werten, die hoheitlichen
Zwecken dienen. Im Vollstreckungsstaat belegene Vermögenswerte, die
nicht hoheitlich genutzt werden, unterliegen im Ergebnis regelmäßig
der Zwangsvollstreckung, ohne dass eine Einwilligung oder ein
Immunitätsverzicht seitens des Schuldnerstaates erforderlich wären.
Die Zwangsvollstreckung in im Vollstreckungsstaat belegenes oder
dort befindliches Vermögen, das hoheitlichen Zwecken eines
ausländischen Staates dient, ist dagegen ohne die Einwilligung des
betreffenden Staates nicht zulässig. Allerdings ist die Möglichkeit
eines Immunitätsverzichts, der sich auf hoheitlich genutztes
Vermögen erstreckt, anerkannt.
3. Aus der völkerrechtlichen Trennung zwischen der allgemeinen
Staatenimmunität und der diplomatischen Immunität ergibt sich, dass
Möglichkeit und Anforderungen an einen Verzicht auf die
diplomatische Immunität nicht von den Regeln über die allgemeine
Staatenimmunität mit umfasst werden. Der spezielle, aus dem Recht
der diplomatischen Beziehungen abgeleitete Sonderstatus des
Vermögens, das zur Aufrechterhaltung des Betriebs einer
diplomatischen Mission im Empfangsstaat bestimmt ist, gewährt
besonderen Schutz. Das Völkergewohnheitsrecht schließt Maßnahmen der
Sicherung oder Zwangsvollstreckung in Gegenstände aus, die der
diplomatischen Vertretung eines fremden Staates zur Wahrnehmung
ihrer amtlichen Funktionen dienen, soweit durch sie die Erfüllung
diplomatischer Aufgaben beeinträchtigt werden könnte. Aus dem
Grundsatz, dass sich der Empfangsstaat jeglicher Aktivitäten zu
enthalten hat, die die Funktion der diplomatischen Mission zu
beeinträchtigen geeignet sind, folgt, dass ein ausländischer Staat
gegen die Vollstreckung in Gegenstände oder Vermögenswerte, die dem
Betrieb seiner diplomatischen Mission dienen, die Unverletzlichkeit
der Mission einwenden kann.
Trotz des hohen Schutzniveaus, das Gegenstände und Vermögenswerte,
die diplomatischen Zwecken dienen, genießen, ist aber ein Verzicht
auch auf die besondere diplomatische Immunität grundsätzlich
möglich. Der Entsendestaat kann auf das Vorrecht des Schutzes durch
den Empfangsstaat verzichten und dadurch auch die Vollstreckung in
sein diplomatisch genutztes Vermögen ermöglichen.
4. Anhaltspunkte dafür, dass auch ein bloß pauschaler Verzicht, der
weder den diplomatischen Schutz noch das darunter fallende Vermögen
besonders erwähnt, ausreichen soll, diesen besonderen Schutz zu
überwinden, lassen sich der Staatenpraxis, wie sie sich insbesondere
in nationalen Gerichtsentscheidungen – etwa deutscher, britischer,
US-amerikanischer, französischer und schwedischer Gerichte –
niederschlägt, nicht in einem für die Allgemeinheit der Geltung
einer solchen Regel ausreichenden Maße entnehmen. Auch aus
Regelungen des diplomatischen Verkehrs, den Arbeiten der
Völkerrechtskommission und dem völkerrechtlichen Schrifttum, das als
Anhaltspunkt für die Existenz von Gewohnheitsrecht ergänzend
herangezogen werden kann, lässt sich nicht ableiten, dass eine
allgemeine Regel des Völkerrechts existiert, wonach ein pauschaler
Verzicht auf die Immunität geeignet wäre, die diplomatische
Immunität von Botschaftskonten aufzuheben.
Pressemitteilung Nr. 121/2006 vom 21. Oktober 2006
Zum Beschluss vom 6. Dezember 2006 – 2 BvM 9/03 –