BVerfG: NPD-Demonstration am 8. Mai in Berlin nur unter Auflagen – Begründung der Ablehnung der einstweiligen Anordnung

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat mit Beschluss vom 6. Mai 2005
den Antrag der “Jungen Nationaldemokraten”, einer Jugendorganisation der NDP, auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung abgelehnt. Diese hatte sich anlässlich einer für den 8. Mai 2005 in Berlin geplanten
Demonstration gegen eine ihr erteilte versammlungsrechtliche Auflage hinsichtlich der Wegstrecke
gewandt (Pressemitteilung Nr. 37/2005 vom 6. Mai 2005).

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Es ist verfassungsrechtlich unbedenklich, der Beschwerdeführerin durch eine Auflage zu untersagen,
den geplanten Aufzug am Denkmal für die ermordeten Juden Europas vorbeizuführen. Insbesondere ist
die Annahme der Behörde und der Gerichte verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, nach den konkret
feststellbaren Umständen sei zu besorgen, dass die Würde der jüdischen Opfer der nationalsozialistischen
Gewalt- und Willkürherrschaft durch einen Aufzug beeinträchtigt werde, der unter dem Motto
“60 Jahre Befreiungslüge – Schluss mit dem Schuldkult” an dem Denkmal vorbeizieht. Durch dieses
Motto würden die Millionen jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zu Gegenständen eines Kultes degradiert
und es würde ihnen zugleich abgestritten, dass die Kapitulation für die vom Nationalsozialismus
verfolgten Juden ein Akt der Befreiung war.

2. Auch das Verbot, die Versammlung auf dem Platz des 18. März zu beenden, ist mit den Grundrechten
der Beschwerdeführerin vereinbar. Behörde und Gerichte durften die vom Senat initiierte Veranstaltung
mit dem Motto “Tag für Demokratie” bei der Entscheidung über Auflagen nach § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz
einbeziehen und ihr Vorrang bei der Nutzung des Gebiets um das Brandenburger Tor
gewähren.

Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Behörde der Versammlung der Beschwerdeführerin
nicht allein aufgrund der zeitlichen Priorität ihrer Anmeldung den Vorrang eingeräumt hat. Die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder einer Versammlung werde zwar
dem Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den Inhalten von Versammlungszwecken gerecht. Es
könnten aber wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung
des jeweiligen Versammlungszwecks, für eine andere Vorgehensweise sprechen. Die Ausrichtung
allein am Prioritätsgrundsatz könnte im Übrigen dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen
und Orten frühzeitig und auf Vorrat anzumelden und damit anderen potentiellen Veranstaltern die
Durchführung von Versammlungen am gleichen Tag und Ort unmöglich zu machen. Allerdings würde der
Prioritätsgrundsatz maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder vorwiegend zu dem Zweck
erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern. Das Verwaltungsgericht sah
hierfür vorliegend keine Anhaltspunkte. An diese Tatsachenfeststellung ist das Bundesverfassungsgericht
gebunden. Dass die von der Beschwerdeführerin geplante Versammlung einen Anstoß zur Durchführung
der später geplanten Veranstaltung zum “Tag für Demokratie” gegeben hat, rechtfertigt für sich allein
nicht die Anwendung des Prioritätsgrundsatzes.

Es ist verfassungsrechtlich bedenkenfrei, dass die Gerichte in der Bedeutung des Ortes für die Verwirklichung
des Zwecks der vom Senat initiierten Versammlung einen wichtigen Grund zum Abweichen vom
Prioritätsgrundsatz gesehen haben. Sie sind davon ausgegangen, dass der Platz des 18. März unter anderem
wegen seiner Nähe zum Brandenburger Tor besondere Bedeutung für eine Veranstaltung am
Jahrestag der Kapitulation für die Darstellung und Würdigung der historischen Ursprünge für die Bundesrepublik
Deutschland nach innen und außen habe. Dieser Argumentation ist die Beschwerdeführerin
auch im vorliegenden Verfahren nicht entgegen getreten. Sie hat insbesondere nicht dargelegt, warum sie
zur Erreichung des Zwecks der von ihr angemeldeten Versammlung in vergleichbarer Weise auf diesen
Ort angewiesen ist.

Beschluss vom 6. Mai 2005 – 1 BvR 961/05 –

Karlsruhe, den 10. Juni 2005