Der Beschwerdeführer ist im Maßregelvollzug in einer saarländischen Klinik für Forensische
Psychiatrie untergebracht. Als Reaktion auf einen Verstoß des Beschwerdeführers gegen zuvor
vereinbarte Verhaltensregeln wurde gegen ihn ein Zimmerarrest von einer Woche verhängt. Das
saarländische Maßregelvollzugsgesetz sieht, wie die entsprechenden Gesetze der anderen Länder,
Disziplinarmaßnahmen nicht vor. Nach Auffassung der Klinikleitung handelte es sich bei dem
Zimmerarrest um eine therapeutische Maßnahme im Sinne “negativer Verstärkung”, auf die zurückgegriffen
werden müsse, da ein Einsatz belohnender Handlungen als “positiver Verstärker”
aufgrund der Haltung des Beschwerdeführers nicht in Betracht komme. Das vom Beschwerdeführer
angerufene Landgericht bestätigte die Maßnahme als rechtmäßig. Den behandelnden Ärzten
sei im Rahmen ihrer fachlich-medizinischen Tätigkeit ein Beurteilungsspielraum eingeräumt,
der einer gerichtlichen Kontrolle von außen weitgehend entzogen sei. Das Oberlandesgericht
verwarf die Rechtsbeschwerde als unzulässig, da die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung
des Landgerichts weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung geboten sei.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten
Senats des Bundesverfassungsgerichts stellte fest, dass das Oberlandesgericht den Anspruch des
Beschwerdeführers auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes verletzt habe. Das Oberlandesgericht
durfte sich nicht der näheren Prüfung und Beantwortung der Rechtsfrage entziehen, ob für
die verfahrensgegenständliche Maßnahme eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage bestand.
Der Klärung hätte zunächst bedurft, ob der gegen den Beschwerdeführer verhängte Zimmerarrest
überhaupt einer Einordnung als Behandlungsmaßnahme zugänglich war. In Rechtsprechung und
Schrifttum ist umstritten, ob die Beantwortung unerwünschter Verhaltensweisen von Maßregelvollzugspatienten mit sanktionsartigen Maßnahmen, die den Patienten im Sinne einer „negativen
Verstärkung“ beeinflussen und damit präventiv wirken sollen, als Behandlungsmaßnahme anzusehen
ist oder ob derartige Reaktionen des Klinikpersonals auf Regelverstöße der Patienten den
Charakter einer in den Landesgesetzen zum Maßregelvollzug nicht vorgesehenen Disziplinarmaßnahme
haben.
Auch soweit davon auszugehen wäre, dass – ungeachtet funktionaler Übereinstimmungen zwischen
disziplinarischen und “negativ verstärkenden” Reaktionen auf Fehlverhalten – das Fehlen
einer gesetzlichen Grundlage für Disziplinarmaßnahmen im Maßregelvollzug nicht die Möglichkeit
ausschließt, negative Verstärker als Behandlungsmaßnahmen einzusetzen, wäre damit die
Frage einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für derartige Maßnahmen noch nicht beantwortet.
Aus dem Umstand, dass sachgerechte Behandlung Spielräume erfordert, die der gesetzlichen
Normierbarkeit und gerichtlichen Kontrolle des therapeutischen Vorgehens Grenzen setzen,
folgt nicht, dass dieser Spielraum unbegrenzt sein und der Gesetzgeber sich daher jeder näheren
Normierung der Voraussetzungen und Grenzen eingreifender Behandlungsmaßnahmen enthalten
müsste und dürfte.
Die Frage der ausreichenden gesetzlichen Grundlage und in diesem Zusammenhang die einschlägigen
einfachgesetzlichen Regelungen wären außerdem unter dem speziellen Gesichtspunkt zu
würdigen gewesen, dass sich der Beschwerdeführer gegen eine seinem erklärten Willen zuwiderlaufende,
zwangsweise gegen ihn verhängte Behandlungsmaßnahme gewandt hat. Die Ermächtigungsgrundlage
für eine Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug ist nach überwiegender Auffassung
den einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen. Nach der für den saarländischen
Maßregelvollzug geltenden Bestimmung bedarf die Behandlung jedoch grundsätzlich
der Einwilligung des Patienten oder seines gesetzlichen Vertreters bzw. Betreuers. Eine Ausnahme
von diesem Grundsatz sieht das Gesetz lediglich für die zwangsweise Behandlung zur Abwendung
von Lebensgefahr, schwerwiegender Gefahr für die Gesundheit des Patienten oder Gefahr
für die Gesundheit anderer Personen vor.
Nr. 113/2007 vom 29. November 2007
Beschluss vom 12. November 2007
2 BvR 9/06