BVerfG: Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen Verbindung von Strafverfahren

Die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Verbindung zweier Wirtschaftsstrafverfahren beanstandet, weil das Gericht dem verfassungsrechtlichen
Gebot fairen Verfahrens nicht hinreichend Rechnung getragen hat. Dem Ausgangsverfahren liegt eine gegen den Beschwerdeführer (Bf) und vier weitere Personen gerichtete
Anklageschrift der Staatsanwaltschaft zu Grunde, die ihm Beihilfe zum Subventionsbetrug in drei Fällen zur Last legt. Das Landgericht Mühlhausen ließ die
Anklageschrift zur Hauptverhandlung zu und verband das Verfahren mit einem weiteren Wirtschaftsstrafverfahren, das sich unter anderem auch gegen drei Mitangeklagte des Bf
richtet. Bei dem hinzuverbundenen Strafverfahren handelt es sich um ein tatsächlich und rechtlich komplexes und schwieriges Wirtschaftsstrafverfahren, in dem die
Hauptverhandlung in der Vergangenheit bereits dreimal begonnen worden ist und auch nach vierzig Verhandlungstagen nicht abgeschlossen werden konnte. Durch die Verbindung
verlor der Bf ? wegen des gesetzlichen Verbots der Mehrfachverteidigung (§ 146 StPO) – seinen vor mehr als zwei Jahren beauftragten Wahlverteidiger. Termin zur
Hauptverhandlung hat das Landgericht Mühlhausen auf den 23. August 2002 bestimmt.

Die Kammer hat durch Beschluss vom 12. August 2002 die Entscheidung des Landgerichts aufgehoben und die Sache an das Landgericht Mühlhausen zurückverwiesen.

Zur Begründung hat sie im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Gebot fairen Verfahrens verpflichtet die Gerichte, den Strafprozess so zu gestalten, dass der Beschuldigte die Möglichkeit hat, auf den Gang und das Ergebnis des gegen
ihn geführten Verfahrens Einfluss zu nehmen. Bei der Verfahrensgestaltung ist darauf Bedacht zu nehmen, dass dem Beschuldigten der von ihm gewählte Verteidiger erhalten
bleibt. Denn das der ?Waffengleichheit? dienende Recht eines Beschuldigten, sich von einem Rechtsanwalt seines Vertrauens als gewähltem Verteidiger vertreten zu lassen, ist
notwendige Voraussetzung für eine effektive Stärkung seiner Stellung im Strafprozess. Schließlich sind die Gerichte verpflichtet, das Strafverfahren so zu führen,
dass es möglichst zügig abgeschlossen werden kann. Diesen Grundsätzen hat das Landgericht keine genügende Beachtung geschenkt. Es hat bei seiner Ermessensentscheidung
über die Verbindung der ursprünglich selbstständigen Strafverfahren nicht die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen den Belangen des Bf und dem öffentlichen
Interesse an einer prozessökonomischen Verfahrenserledigung vorgenommen. Es hat insbesondere nicht ausreichend bedacht, dass die Verfahrensverbindung hier zum Verlust des
Wahlverteidigers des Bf führt. Außerdem hat es nicht erkennbar berücksichtigt, dass die Verbindung beider Verfahren mit erheblichen zusätzlichen Belastungen für
den Bf (erhebliche Zahl zusätzlicher Verhandlungstage, umfangreicherer Prozessstoff) und dem Risiko einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung verbunden ist.

Beschluss vom 12. August 2002 – Az. 2 BvR 932/02 –

Karlsruhe, den 16. August 2002