BVerfG: Erfolglose Verfassungsbeschwerde gegen die Einführung des Ethikunterrichts in Berlin als Pflichtfach

Mit Wirkung für das am 21. August 2006 beginnende Schuljahr 2006/2007 wird im Land Berlin
ein „Ethikunterricht„ für die Jahrgangsstufen 7 bis 10 als ordentliches Lehrfach eingeführt.
Grundlage hierfür ist die Neufassung von § 12 Abs. 6 Satz 1 Schulgesetz. Die Einführung des
Unterrichtsfaches erfolgt zunächst in der Jahrgangsstufe 7, in den Folgejahren wird der Unterricht
auf jeweils eine weitere Jahrgangsstufe erstreckt. Der Ethikunterricht tritt als Pflichtfach
ohne Abmeldemöglichkeit neben den Religionsunterricht.

Die Beschwerdeführer, eine 12-jährige Schülerin und ihre Eltern, wenden sich gegen die Einführung
des Ethikunterrichts als ordentliches Lehrfach. Sie sehen sich durch die fehlende Abmeldemöglichkeit
in ihrem Grundrecht auf Religionsfreiheit und in ihrem Elternrecht verletzt. Ihre
Verfassungsbeschwerde, die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbunden
war, hatte keinen Erfolg. Die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Die Verfassungsbeschwerde
sei unzulässig, da den Beschwerdeführern die Möglichkeit offen stehe, zunächst um eine Befreiung
vom Ethikunterricht nachzusuchen und dann gegebenenfalls verwaltungsgerichtlichen
Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen.

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze sind unzulässig, wenn der Beschwerdeführer in zumutbarer
Weise Rechtsschutz durch die Anrufung der Fachgerichte erlangen kann. Dieser Grundsatz
der Subsidiarität gewährleistet, dass dem Bundesverfassungsgericht nicht nur die abstrakte
Rechtsfrage und der Sachvortrag des Beschwerdeführers unterbreitet werden, sondern auch die
Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für diese Materie zuständiges Gericht.
§ 46 Abs. 5 Satz 1 Schulgesetz des Landes Berlin ermöglicht die Befreiung von der Teilnahme an
einzelnen Unterrichts- oder Schulveranstaltungen. Ob diese Vorschrift die generelle Befreiung
eines Schülers vom Ethikunterricht ermöglicht, ist nicht zweifelsfrei, durch den Gesetzeswortlaut
aber jedenfalls nicht ausgeschlossen. Es ist zunächst Sache der zuständigen Schulverwaltung, auf
Anträge von Schülern zur Befreiung vom Ethikunterricht die Voraussetzungen der Befreiungsvorschrift
im Lichte der Grundrechte näher zu bestimmen und anzuwenden. Bliebe ein entsprechender
Befreiungsantrag erfolglos, bestünde die Möglichkeit verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes.
Erst die Auslegung der Befreiungsvorschrift durch die hierzu in erster Linie berufenen
Fachgerichte wird zeigen, ob das Freistellungsziel der Beschwerdeführer auf der Grundlage dieser
Bestimmung erreichbar ist, welche Anforderungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht an
die Gewährung der Befreiung zu stellen sind und inwieweit der Behörde in Fällen dieser Art
noch ein Ermessensspielraum verbleibt.

Nr. 67/2006 vom 20. Juli 2006

Beschluss vom 14. Juli 2006

1 BvR 1017/06