Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat eine
Verfassungsbeschwerde (Vb) gegen das
Sachenrechtsbereinigungsgesetz
mangels Erfolgsaussicht nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Das Sachenrechtsbereinigungsgesetz (SachenRBerG) von 1994
regelt die
Anpassung der in der DDR verbreiteten Nutzungsverhältnisse
an Grund und
Boden an das Recht des BGB. Bei berechtigter baulicher
Nutzung eines
fremden Grundstücks geschieht dies grundsätzlich in der
Weise, dass der
Grundstücksnutzer die Bestellung eines Erbbaurechts an dem
von ihm
bebauten Grundstück oder dessen Ankauf wählen kann. Der
Erbbauzins
beträgt nach dem Gesetz regelmäßig die Hälfte des für die
entsprechende
Nutzung üblichen Zinses, der Ankaufspreis grundsätzlich die
Hälfte des
Bodenwerts. Dadurch kommt der Bodenwert je zur Hälfte dem
Nutzer und dem
Grundstückseigentümer zugute. Bei der Berechnung des
Bodenwerts wird der
Wert eines baureifen Grundstücks zugrunde gelegt.
Aufwendungen für
Erschließung, Vermessung etc. sind von diesem Wert
abzuziehen, falls der
Grundstückseigentümer diese Kosten nicht selbst getragen hat
oder das
Grundstück nicht bereits während der Dauer seines Besitzes
erschlossen
war. Verlangt der Nutzer schnell den Ankauf und zahlt er
unverzüglich
den Kaufpreis, kann er nach einer weiteren Vorschrift des
Sachenrechtsbereinigungsgesetzes die Ermäßigung des normalen
Preises
verlangen.
2. Nach der Begründung der Kammer für den
Nichtannahmebeschluss
hinsichtlich einer Vb, die die Eigentümerin eines im
Beitrittsgebiet
gelegenen Grundstücks erhoben hatte, verstoßen die
einschlägigen
Regelungen des SachenRBerG nicht gegen Art. 14 oder Art. 3
Abs. 1 GG.
Dazu führt die Kammer im Wesentlichen aus:
Verlangt der bisherige Nutzer nach dem SachenRBerG den
Ankauf des
Grundstücks, führt dies dazu, dass der bisherige
Grundstückseigentümer
sein Eigentum verliert. Darin liegt jedoch keine Enteignung
im Sinne von
Art. 14 Abs. 3 GG. Enteignung ist der staatliche Zugriff auf
das
Eigentum des Einzelnen. Demgegenüber geht es bei der
Sachenrechtsbereinigung um die Angleichung der DDR-typischen
Nutzungsverhältnisse an das Immobiliarsachenrecht des BGB
sowie darum,
bei dieser Angleichung die betroffenen privaten Interessen
zu einem
Ausgleich zu bringen. Das Ankaufsrecht des Nutzers ist Teil
dieses
Regelungskonzepts. Wie dieses bestimmt es im Sinne von Art.
14 Abs. 1
Satz 2 GG den Inhalt und die Schranken des Eigentums.
Bei dieser Inhaltsbestimmung hat der Gesetzgeber Spielraum.
Er muss die
schutzwürdigen Interessen der Beteiligten in einen gerechten
Ausgleich
und in ein ausgewogenes Verhältnis bringen. Die Bindung des
Eigentumsgebrauchs an das Wohl der Allgemeinheit gemäß Art.
14 Abs. 2 GG
schließt die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange
desjenigen ein,
der konkret auf die Nutzung angewiesen ist. Soweit das
Eigentum die
persönliche Freiheit des Einzelnen im vermögensrechtlichen
Bereich
sichert, genießt es einen besonders ausgeprägten Schutz.
Dagegen ist die
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers umso größer, je stärker
der soziale
Bezug des Eigentumsobjekts ist. Auch können grundlegende
Veränderungen
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse den
Regelungs-
und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erweitern.
Schwierigkeiten,
die die Überführung der sozialistischen Rechts- und
Eigentumsordnung
einschließlich der danach erworbenen Rechtspositionen in das
Rechtssystem der Bundesrepublik Deutschland mit sich bringt,
darf er
deshalb bei Regelungen auf der Grundlage von Art. 14 Abs. 1
Satz 2 GG
ebenso Rechnung tragen wie dem dazu erforderlichen
Zeitbedarf.
Mit diesen Grundsätzen stimmt das genannte Regelungskonzept
des
SachenRBerG überein.
a) Die Entscheidung des Gesetzgebers, den Bodenwert
prinzipiell im
Verhältnis 50 : 50 auf den Grundstückseigentümer und den
Nutzer
aufzuteilen, ist sachgerecht. Hintergrund dessen war der
explosionsartige Anstieg der Grundstückspreise nach dem
Übergang von der
sozialistischen Planwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft.
Eine
wirtschaftliche Leistung des Grundstückseigentümers oder des
Nutzers
liegt den Bodenwertsteigerungen nicht zugrunde, sie stellen
für beide
Seiten einen unerwarteten Gewinn dar. Das Grundeigentum
hatte in der
Deutschen Demokratischen Republik seinen wirtschaftlichen
Wert so gut
wie verloren, während die Nutzungsrechte ihren Inhabern eine
eigentümerähnliche Rechtsstellung verliehen. Bei diesem
Hintergrund ist
die Entscheidung des Gesetzgebers, die Bodenwertsteigerungen
nicht ganz
oder überwiegend dem Grundstückseigentümer oder dem Nutzer
zuzuweisen,
sondern grundsätzlich hälftig zu teilen,
verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden.
b) Gleiches gilt für die dem Nutzer eingeräumte Befugnis,
zwischen der
Bestellung eines Erbbaurechts und dem Ankauf des von ihm
bebauten
Grundstücks zu wählen:
Nutzer, die fremde Grundstücke mit staatlicher Billigung
bebaut haben,
haben wirtschaftliche Werte geschaffen. Da die Errichtung
eines Gebäudes
auf einem fremden Grundstück mit staatlicher Billigung nach
dem
damaligen Rechts- und Wirtschaftssystem der DDR berechtigt
war, konnten
die Nutzer darauf vertrauen, die von ihnen errichteten
Gebäude
grundsätzlich unbefristet nutzen zu können. Dieses Vertrauen
war
Grundlage für von ihnen – oftmals mit erheblichem Aufwand –
getätigte
Investitionen. Den Grundstückseigentümern standen hingegen
bis zur
Wiedervereinigung im Wesentlichen keine Verwertungs- und
Nutzungsbefugnisse mehr zu. Sie konnten auch nicht damit
rechnen, jene
jemals wiederzuerlangen. Das Grundstückseigentum war mit den
Nutzungsrechten belastet, als es in den Schutzbereich des
Art. 14 Abs. 1
GG gelangte.
Der Gesetzgeber durfte daher dem Interesse der Nutzer an der
weiteren
Nutzung der von ihnen bebauten Grundstücke gegenüber dem
Interesse der
Grundstückseigentümer, die volle Verfügungsbefugnis
wiederzuerlangen,
den Vorrang und damit das genannte Wahlrecht einräumen. Dies
gilt umso
mehr, als für den Nutzer häufig persönliche und berufliche
Existenz mit
dem Grundstück verbunden sind, während es für den
Grundstückseigentümer
in der Regel nur um einen angemessenen finanziellen
Ausgleich für die
Belastung seines Grundstücks geht.
Der Gesetzgeber musste sich auch nicht darauf beschränken,
dem Nutzer
den Anspruch auf Bestellung eines Erbbaurechts einzuräumen.
Zwischen dem
Grundstückseigentümer und dem Nutzer besteht aufgrund der
Bebauung der
Grundstücke eine Art Zwangsgemeinschaft. Sie wird durch die
Bestellung
eines Erbbaurechts des Nutzers nicht aufgelöst, sondern nur
dem
Rechtssystem des BGB angepasst. Diese Möglichkeit ist vor
allem im
Hinblick auf die finanzielle Situation einiger Nutzer
geschaffen worden,
die sich den Ankauf des Grundstücks nicht leisten können.
Allein das
Ankaufsrecht jedoch bewirkt eine Auflösung der genannten
Zwangsgemeinschaft durch die Schaffung klarer
Rechtsverhältnisse. Der
Gesetzgeber durfte daher zur Auflösung der Kollision
vorgefundener
Berechtigungen an einem Grundstück dem Nutzer zur
Absicherung seiner
baulichen Investitionen einen Anspruch auf Erwerb des
Grundstückseigentums einräumen.
c) Der Abzug der Erschließungskosten vom Bodenwert, soweit
diese nicht
bereits vom Grundstückseigentümer getragen wurden, verstößt
nicht gegen
den Grundsatz der hälftigen Aufteilung des Bodenwerts
zwischen
Eigentümer und Nutzer. Zwar sind in der DDR die Grundstücke
vom Staat
meist kostenlos erschlossen worden. Die Erschließung stand
jedoch mit
der Bebauung des Grundstücks durch den Nutzer in
unmittelbarem
Zusammenhang. Dies rechtfertigt ihre Zuordnung zu seinem
Bauvorhaben und
damit den Abzug der erschließungsbedingten Werterhöhung vom
ermittelten
Bodenwert.
d) Schließlich ist die Minderung des Kaufpreises bei
unverzüglicher
Bezahlung keine unangemessene Beeinträchtigung der Belange
des
Grundstückseigentümers. Mit dieser Regelung soll ein
besonderer Anreiz
zum Ankauf des Grundstücks, der gegenüber der
Erbbaurechtsbestellung zu
einer einfacheren und schnelleren Rechtsbereinigung führt,
und zur
pünktlichen Bezahlung des Kaufpreises geschaffen werden.
Dies sind
legitime Regelungsziele, von denen auch der
Grundstückseigentümer
profitiert. Er erhält den Kaufpreis sofort und kann früher
darüber
verfügen.
Aus den dargestellten Erwägungen verstößt das SachenRBerG
auch nicht
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Zwar steht das
Wahlrecht über die
Bestellung eines Erbbaurechts oder den Ankauf des
Grundstücks in der
Regel dem Nutzer und nicht dem Eigentümer zu. Dies ist aber
deshalb
sachlich gerechtfertigt, weil die Nutzer bauliche Werte
geschaffen
haben, auf deren unbefristete Nutzung vertrauen durften und
bei einem
Ankauf des Gebäudes durch den Grundstückseigentümer ihre
Wohnung oder
Betriebsstätte verlieren würden.
Beschluss vom 22. Februar 2001 – 1 BvR 198/98 –
Karlsruhe, den 7. März 2001