Der Antragsteller meldete für Samstag, den 3. Dezember 2005, zwei Versammlungen an. Die eine sollte
in der Zeit von 12:30 Uhr bis 16:00 Uhr in Rastatt unter dem Thema „Rastatt stellt sich quer – keine
Freiräume für linksextreme Straftäter„ stattfinden, die zweite war anschließend ab 17:30 Uhr in der Innenstadt
von Karlsruhe unter dem Motto „Daniel Wretström, Sandro Weilkes, Pim Fortyn – kein Vergessen
– kein Verzeihen!„ geplant. Die Behörde sprach für beide Versammlungen ein Verbot aus. Auf
Grund des Antrags des Antragstellers auf einstweiligen Rechtsschutz ermöglichte das Verwaltungsgericht
die Versammlungen unter bestimmten Auflagen. Hinsichtlich der in Karlsruhe geplanten Versammlung
erteilte das Gericht unter anderem die Auflage, die Veranstaltung auf den Bahnhofsvorplatz zu beschränken,
auf 14.00 Uhr vorzuverlegen und während der Tageslichtzeit durchzuführen. Die hiergegen gerichtete
Beschwerde wies der Verwaltungsgerichtshof zurück. Er begründete seine Entscheidung erst, nachdem
die Versammlung stattgefunden hatte.
Im Wege eines Eilantrages wandte sich der Antragsteller gegen die verhängten Auflagen. Die 1. Kammer
des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts lehnte den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf
Grund einer Folgenabwägung ab.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Nicht zu beanstanden ist die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die öffentliche Sicherheit bei
Durchführung einer Versammlung im Zentrum der Innenstadt am späten Nachmittag des Samstag vor
dem 2. Advent angesichts absehbarer Zusammenstöße mit Gegendemonstranten erheblich stärker gefährdet ist als bei Durchführung der Versammlung zur Tageslichtzeit in einer nicht durch den Weihnachtsmarkt
belegten Örtlichkeit. Die betroffenen Plätze und Straßen sind zu dem vom Antragsteller
beabsichtigten Zeitpunkt erfahrungsgemäß dicht bevölkert und jedenfalls durch die Stände des Weihnachtsmarkts
besonders unübersichtlich. Durch die Wahl einer Wegstrecke über den Weihnachtsmarkt
will der Antragsteller offensichtlich die Zusammenballung besonders vieler Personen und die zu erwartenden
Behinderungen der Besucher als Mittel zur Steigerung der Aufmerksamkeit für sein Demonstrationsanliegen
nutzen, obwohl dieses keinen thematischen Bezug zu Weihnachten hat. Der Aufzug durch
den Weihnachtsmarkt führt wegen der notwendigen Schutzvorkehrungen unweigerlich zu Beeinträchtigungen
der ebenfalls grundrechtlich geschützten Entfaltungsmöglichkeiten der Passanten sowie der Inhaber
der Läden und Buden. Die Verwaltungsbehörden und Gerichte haben auch deren Grundrechte in
ihre Folgenabwägung einzubeziehen. Es ist vom Antragsteller nicht dargetan, dass die im Interesse des
Rechtsgüterschutzes anderer vorgenommene Begrenzung auf eine ortsfeste Versammlung an dem ebenfalls
belebten Bahnhofsvorplatz einen schweren Nachteil für ihn darstellt.
Ein schwerer Nachteil entsteht für den Antragsteller auch nicht daraus, dass die Veränderung des Zeitpunkts
der Demonstration zu einer zeitlichen Kollision mit der von ihm in Rastatt geplanten Versammlung
führt. Dem Antragsteller hätten Möglichkeiten zur Verfügung gestanden, der zeitlichen Kollision etwa
durch Anmeldung der Versammlung in Rastatt für einen nunmehr veränderten Zeitpunkt entgegenzuwirken.
Die Veranstaltungsmotti beider Versammlungen lassen nicht darauf schließen, dass das Abhalten
der Veranstaltungen gerade an diesem Tag sowie in Rastatt erst ab 12:30 Uhr zur Erfüllung der Anliegen
des Antragstellers unabdingbar ist.
Soweit der Verwaltungsgerichtshof seine Entscheidung erst begründet hat, nachdem die Versammlung
durchgeführt war, merkt die Kammer Folgendes an: Die Ausstrahlungswirkung des Grundrechts der
Versammlungsfreiheit ist von den Gerichten auch bei ihrer Entscheidung über den Zeitpunkt der Begründung
zu berücksichtigen. Ist die Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes beim Bundesverfassungsgericht
absehbar, so muss die Begründung so frühzeitig erfolgen, dass der Antragsteller die Gründe in seinen
Antrag einbeziehen und das Bundesverfassungsgericht sie in seiner Entscheidung berücksichtigen
kann.
Pressemitteilung Nr. 131/2005 vom 27. Dezember 2005
Beschluss vom 2. Dezember 2005
1 BvQ 35/05