BVerfG: Durchsuchung und Beschlagnahme bei CICERO verletzen Pressefreiheit

Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktionsräume von CICERO und die
Beschlagnahme der dort aufgefundenen Beweismittel stellen einen
verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in die
Pressefreiheit des Beschwerdeführers dar. Die Gerichte haben dem
verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht hinreichend
Rechnung getragen. Die bloße Veröffentlichung eines Dienstgeheimnisses
in der Presse durch einen Journalisten reicht nicht aus, um einen zu
einer Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Verdacht der
Beihilfe des Journalisten zum Geheimnisverrat zu begründen. Erforderlich
sind vielmehr spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer von einem Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des
Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat. Solche
Anhaltspunkte lagen im Fall der Durchsuchung der Redaktionsräume des
Politmagazins CICERO nicht vor. Dies entschied der Erste Senat des
Bundesverfassungsgerichts mit Urteil vom 27. Februar 2007. Damit war die
Verfassungsbeschwerde des Chefredakteurs von CICERO erfolgreich. Die
Entscheidung ist mit 7 : 1 Stimmen ergangen.

(Zum Sachverhalt vgl. Pressemitteilung Nr. 69/2006 vom 31. Juli 2006)

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

I. Die Anordnung der Durchsuchung der Redaktion und die Beschlagnahme

der dort gefundenen Beweismittel verletzen den Beschwerdeführer in

seinem Grundrecht auf Pressefreiheit.

1. Die Durchsuchung der Presseräume stellt wegen der damit

verbundenen Störung der redaktionellen Arbeit eine

Beeinträchtigung der Pressefreiheit dar. Durch die Anordnung der

Beschlagnahme von Datenträgern zum Zwecke der Auswertung ist den

Ermittlungsbehörden darüber hinaus die Möglichkeit des Zugangs zu

redaktionellem Datenmaterial eröffnet worden. Dies greift in

besonderem Maße in die vom Grundrecht der Pressefreiheit umfasste

Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ein, aber auch in ein

etwaiges Vertrauensverhältnis zu Informanten.

2. Der Eingriff ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Die

Gerichte haben bei der Auslegung und Anwendung der zur

Durchsuchung und Beschlagnahme ermächtigenden Normen dem

verfassungsrechtlich gebotenen Informantenschutz nicht

hinreichend Rechnung getragen. Der den gerichtlichen Anordnungen

zugrunde liegende Tatverdacht gegen den Beschwerdeführer reichte

für eine Durchsuchung der Redaktionsräume und die Beschlagnahme

von Beweismitteln nicht aus.

a) § 353 b StGB stellt die unbefugte Offenbarung eines

Dienstgeheimnisses unter Strafe. Allein die Veröffentlichung

des Geheimnisses in der Presse deutet allerdings nicht

zwingend auf das Vorliegen einer derartigen Haupttat durch den

Geheimnisträger hin. Der Tatbestand des § 353 b StGB ist

beispielsweise nicht verwirklicht und eine Beihilfe daher

nicht möglich, wenn Schriftstücke oder Dateien mit

Dienstgeheimnissen versehentlich oder über eine nicht zur

Geheimhaltung verpflichtete Mittelsperson nach außen gelangen.

Will der Geheimnisträger dem Journalisten nur

Hintergrundinformationen liefern und erfolgt die

Veröffentlichung abredewidrig, ist die Tat mit der Offenbarung

des Geheimnisses bereits beendet; dann kann eine Beihilfe

durch die nachfolgende Veröffentlichung gar nicht mehr

geleistet werden. In solchen Fällen kann eine Durchsuchung und

Beschlagnahme nicht mit dem Ziel der Aufklärung einer

Beihilfehandlung des Journalisten angeordnet werden.

b) Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem

Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige sind

verfassungsrechtlich unzulässig, wenn sie ausschließlich oder

vorwiegend dem Zweck dienen, die Person des Informanten zu

ermitteln. Auch wenn die betreffenden Angehörigen von Presse

oder Rundfunk selbst Beschuldigte sind, dürfen in gegen sie

gerichteten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts einer

Beihilfe zum Dienstgeheimnisverrat Durchsuchungen sowie

Beschlagnahmen zwar zur Aufklärung der ihnen zur Last gelegten

Straftat angeordnet werden, nicht aber zu dem Zweck,

Verdachtsgründe insbesondere gegen den Informanten zu finden.

Das Risiko einer Verletzung des verfassungsrechtlich gebotenen

Informantenschutzes ist besonders groß, wenn der Verdacht

einer Beihilfe allein darauf gestützt wird, dass das

Dienstgeheimnis in der Presse veröffentlicht worden ist und

das maßgebende Schriftstück allem Anschein nach unbefugt in

die Hände des Journalisten gelangt war. In einer solchen

Situation kann die Staatsanwaltschaft den betroffenen

Journalisten durch Einleitung eines gegen ihn gerichteten

Ermittlungsverfahrens zwar – verfassungsrechtlich zulässig –

zum Beschuldigten machen. Würde jedweder Verdacht aber auch

für die Anordnung von Durchsuchung und Beschlagnahme bei

Angehörigen von Presse und Rundfunk ausreichen, hätte die

Staatsanwaltschaft es in ihrer Hand, durch die Entscheidung

zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens den besonderen

grundrechtlichen Schutz der Medienangehörigen zum Wegfall zu

bringen. Deshalb müssen die strafprozessualen Normen über die

Durchsuchung und Beschlagnahme dahingehend ausgelegt werden,

dass die bloße Veröffentlichung des Dienstgeheimnisses durch

einen Journalisten nicht ausreicht, um einen diesen

Vorschriften genügenden Verdacht der Beihilfe des Journalisten

zum Geheimnisverrat zu begründen. Zu fordern sind vielmehr

spezifische tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen einer

vom Geheimnisträger bezweckten Veröffentlichung des

Geheimnisses und damit einer beihilfefähigen Haupttat.

c) Nach diesen Maßstäben widersprach die vorliegend angeordnete

Durchsuchung und Beschlagnahme dem von der Pressefreiheit

gewährleisteten Schutz der Redaktionsarbeit unter Einschluss

des Informantenschutzes. Die Anordnung erfolgte in einer

Situation, in der es keine Anhaltspunkte außer der

Veröffentlichung des Berichts in der Zeitschrift dafür gegeben

hatte, dass ein Geheimnisverrat durch den Geheimnisträger

vorliegen könnte. Alle Ermittlungen in diese Richtung waren

zuvor erfolglos geblieben. Damit sollte die Durchsuchung

letztlich vorwiegend die Ermittlung des mutmaßlichen

Informanten aus dem Bundeskriminalamt ermöglichen.

II. Darüber hinaus verletzt der Beschluss des Landgerichts, in welchem
das Gericht die Erledigung der gegen die Beschlagnahmebestätigung

gerichteten Beschwerde festgestellt hat, den Beschwerdeführer in

seinem Recht auf Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes.

Angesichts der schwer wiegenden Beeinträchtigungen der

Pressefreiheit musste es dem Beschwerdeführer ermöglicht werden, die

Bestätigung der Beschlagnahme redaktionellen Materials einer

gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen.

Pressemitteilung Nr. 21/2007 vom 27. Februar 2007

Zum Urteil vom 27. Februar 2007 – 1 BvR 538/06; 1 BvR 2045/06 –