1. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Das Land Sachsen-Anhalt hatte sich im Zuge der nach der Wiedervereinigung eingeleiteten Kommunalreform entschieden,
die Verwaltungskraft seiner überwiegend kleinen Gemeinden durch die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften zu stärken. Auf der Grundlage des Gesetzes über kommunale
Gemeinschaftsarbeit (GKG-LSA) sollten sich Gemeinden freiwillig zu Verwaltungsgemeinschaften zusammenschließen, um ihre Aufgabenwahrnehmung in einer gemeinsamen
Verwaltung zu bündeln. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Verwaltungsgemeinschaften bei einer Einwohnerzahl der Mitgliedsgemeinden von insgesamt 5.000 hinreichend
leistungsfähig sein würden. Um die flächendeckende Bildung von Verwaltungsgemeinschaften abzuschließen, ermächtigt das GKG-LSA das Innenministerium, Gemeinden ohne
hinreichende Verwaltungskraft zwangsweise leistungsfähigen Verwaltungsgemeinschaften zuzuordnen, wenn die Gemeinden sich nicht bis zum Ende des Jahres 1993 freiwillig zu
Verwaltungsgemeinschaften zusammengeschlossen hatten. Von dieser Ermächtigung wurde mit einer Rechtsverordnung auch gegenüber den Beschwerdeführerinnen (Bf) Gebrauch
gemacht. Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt erklärte sich hinsichtlich der Prüfung dieser Rechtsverordnung für unzuständig. Mit ihren Vb rügen die Bf die
Verletzung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie.
2. In den Gründen der Entscheidung heißt es: Die Zulässigkeit der Kommunalverfassungsbeschwerden scheitert nicht an ihrem grundsätzlich subsidiären Charakter.
Danach ist die bundesrechtliche Kommunalverfassungsbeschwerde immer dann ausgeschlossen, wenn die Gemeinde nach Landesrecht unmittelbar das Landesverfassungsgericht anrufen
kann. Das Landesverfassungsgericht Sachsen-Anhalt hat sich hinsichtlich einer verfassungsgerichtlichen Prüfung der angegriffenen Rechtsverordnung für unzuständig erklärt
und seine Prüfungskompetenz auf formelle Landesgesetze beschränkt. Ein solcher eingeschränkter Rechtsschutz führt nicht zur Subsidiarität der bundesrechtlichen
Kommunalverfassungsbeschwerde. Würde weder das Landesverfassungsgericht noch das Bundesverfassungsgericht geltend gemachte Verletzungen der kommunalen
Selbstverwaltungsgarantie durch untergesetzliches Landesrecht prüfen, entstünde eine mit der Funktion der Kommunalverfassungsbeschwerde unvereinbare Lücke im
verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz.
3. Die Kommunalverfassungsbeschwerden haben jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die zwangsweise Zuordnung zu Verwaltungsgemeinschaften verletzt nicht das
Selbstverwaltungsrecht der Bf.
a) Der Landesgesetzgeber hat mit der Verwaltungsreform die identitätsbestimmenden Merkmale gemeindlicher Selbstverwaltung gewahrt. Die Mitgliedsgemeinde bleibt
eigenständige Gebietskörperschaft. Eine umfassende Steuerung der Verwaltungsgemeinschaft und ihrer Mitgliedsgemeinden durch übergeordnete staatliche Behörden ist nach
der gesetzlichen Regelung ausgeschlossen. Die Verwaltungsgemeinschaften sind das strukturbestimmende Merkmal der gemeindlichen Verwaltungsreform, mit der das Land
Sachsen-Anhalt die Existenz kleiner Gemeinden erhalten wollte, um eine sonst notwendige Gemeindegebietsreform mit größeren Einheitsgemeinden zu vermeiden. Das
Schwergewicht ihrer Zuständigkeiten liegt auf verwaltungstechnischem Gebiet und den ihnen kraft Gesetzes übertragenen staatlichen Aufgaben. Art. 28 Abs. 2 GG ist nicht
verletzt, weil die Verwaltungsgemeinschaften Aufgaben des eigenen Wirkungskreises nur dann wahrnehmen, wenn diese durch die Mitgliedsgemeinden freiwillig übertragen
werden.
b) Das Land Sachsen-Anhalt hat den Konflikt zwischen den Zielen einer möglichst bürgernahen und einer möglichst wirtschaftlichen Verwaltung zu Gunsten einer Zwischenstufe
in Form von Verwaltungsgemeinschaften gelöst. Die damit einhergehenden Beschränkungen des Selbstverwaltungsrechts der Bf sind durch Gemeinwohlgründe gerechtfertigt. Dabei
kommt es nicht nur auf die Verhältnisse einer einzelnen Gemeinde an. Der Gesetzgeber darf bei seinen organisatorischen Vorgaben typisieren. Es ist daher
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber bei der Bildung von Verwaltungsgemeinschaften deren Leistungsfähigkeit bei einer Einwohnerzahl von 5.000
gesehen hat. Diese Zahl wird von den Bf nicht annähernd erreicht.
c) Erfolglos bleibt schließlich die Rüge der Bf, ihnen sei vor der zwangsweisen Zuordnung eine zu kurze Anhörungsfrist gesetzt worden. Zwar ließ der Zeitraum
von der Benachrichtigung über die Anhörung bis zu deren Durchführung wenige Tage später keine sachgerechte Stellungnahme unter Beteiligung des Gemeinderats zu. Bei der
Prüfung der Frage, ob die Anhörung die verfassungsrechtlichen Anforderungen erfüllt, ist jedoch nicht allein auf die Anhörungsfrist abzustellen. Der Gesetz- und
Verordnungsgeber kann die Modalitäten der Anhörung nach seinem Ermessen gestalten, solange das Anhörungsverfahren insgesamt den Anforderungen der
Selbstverwaltungsgarantie an eine effektive Anhörung genügt.
Das ist hier der Fall gewesen: Die Bf waren mit Schreiben vom 16. Dezember 1993 über das Zuordnungsverfahren informiert worden. Aus einem individuellen beigefügten
Rücksendebogen ging hervor, dass eine Anhörung über ihre konkrete Zuordnung stattfinden solle. Beide Bf haben sich für eine mündliche Anhörung entschieden, bei der sie
am 18. Januar 1994 erklärten, keiner Verwaltungsgemeinschaft angehören zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt war ihre Willensbildung bereits abgeschlossen; sie wurde nicht durch
die Kürze der Anhörungsfrist verhindert oder gestört. Die Bf waren sich über ihre konkrete Interessenlage ebenso wie über den Inhalt der geplanten Verwaltungsreform im
Klaren.
Beschluss vom 19. November 2003 – Az. 2 BvR 329/97 –
Karlsruhe, den 14. März 2003