BVerwG: Schwabinger Krawalle

BVerwG

Urt. v. 09.02.67

I C 49.64

Leitsätze:

“1. Hat der Verwaltungsakt sich vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt, so kann ohne Vorverfahren Klage auf Feststellung erhoben werden, daß er rechtswidrig gewesen sei.

2. Ein Interesse an der Bestrafung des Beamten, der den erledigten Verwaltungsakt erlassen hat, begründet kein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes.

3. Zur Klage auf Feststellung, daß die Polizei unmittelbaren Zwang in rechtswidriger Weise angewendet hat.

4. Zum polizeilichen Einschreiten gegen Menschenansammlungen auf der Straße.”

Gründe:

I. In der Zeit vom 21. bis 25. Juni 1962 kam es in München-Schwabing hauptsächlich auf der Leopoldstraße zu großen Menschenansammlungen und zu sonstigen Störungen der öffentlichen Ordnung, zu deren Wiederherstellung zahlreiche Pollzeibeamte eingesetzt wurden (sog. “Schwabinger Krawalle”). Bei einem dieser Einsätze in der Nacht vom 24. Juni 1962 wurde der Kläger von Polizeibeamten mit Hiebwaffen geschlagen. Er erhob am 4. Juli 1962 verwaltungsgerichtliche Klage, mit der er die Feststellung begehrt, daß der Platzverweis und die Androhung unmittelbaren Zwanges nichtig, hilfsweise rechtswidrig waren. Fürsorglich beantragt er die Aufhebung dieser Verfügungen. Außerdem beantragt er die Feststellung, daß die Art und Weise des Vollzugs des Platzverweises durch Anwendung unmittelbaren Zwanges ihm gegenüber rechtswidrig war.

Die Beklagte trat der Klage u.a. mit der Begründung entgegen, die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte und die Anfechtungsklage seien unzulässig, weil der Kläger keinen Widerspruch eingelegt habe.

Die Klage und die Berufung hatten keinen Erfolg. Im Berufungsurteil wird ausgeführt:

Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Platzverweisung und der Androhung unmittelbaren Zwanges sei zwar zulässig, aber unbegründet. Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Polizeimaßnahmen sei hingegen unzulässig. Für Klagen auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes gelte nicht § 43 VwGO, sondern § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO.

Dieser Urteilsausspruch sei lediglich ein Ersatz für die im System des Prozeßrechts primär vorgesehene Aufhebung des Verwaltungsaktes. Systematisch gesehen bleibe das Verfahren eine Anfechtungsklage nach § 42 VwGO. Deshalb müßten die für kassatorische Urteile geltenden Prozeßvoraussetzungen auch beim Urteil gegeben sein, durch das die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes festgestellt werde. Vor Erhebung der Klage hätte somit die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachgeprüft werden müssen. Die Widerspruchsbehörde sei befugt, die Rechtswidrigkeit eines bereits erledigten Verwaltungsaktes festzustellen. Der Kläger sei vor Ablauf der Widerspruchsfrist durch das erstinstanzliche Urteil darauf hingewiesen worden, daß er den erforderlichen Widerspruch noch nicht erhoben habe. Dennoch habe er dies unterlassen. Die Klage könne nicht als Erhebung des Widerspruchs gedeutet werden. Ein stillschweigender Widerspruchsbescheid sei nach der Verwaltungsgerichtsordnung nicht möglich.

Der Kläger hat die zugelassene Revision eingelegt. Er rügt mangelhafte Aufklärung des Sachverhalts sowie die Beweiswürdigung hinsichtlich der Platzverweisung und der Androhung unmittelbaren Zwanges. Sein Interesse an der insoweit erhobenen Klage begründet er damit, es gehe ihm in diesem Rechtsstreit hauptsächlich darum, daß die Verantwortlichkeit des Oberbürgermeisters Dr. V und des damaligen Kriminaldirektors, jetzigen Polizeipräsidenten Dr. S für die Organisation des polizeilichen Einschreitens bei den Krawallen geklärt werde, damit diese verantwortlichen Personen der Bestrafung zugeführt würden. Seine Rechtsverfolgung richte sich dagegen weniger gegen das Vorgehen der Vollzugabeamten bei der Anwendung unmittelbaren Zwanges.

Die Beklagte und der Oberbundesanwalt treten der Revision entgegen.

II. Die Revision ist nur teilweise begründet.

1. Die Revision ist unbegründet, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, die Aufforderung des Kriminaldirektors Dr. S an die Menschenmenge, die Leopoldstraße zu räumen (sog. Platzverweisung), und seine damit verbundene Androhung unmittelbaren Zwanges seien nichtig gewesen. Denn an dieser Feststellung hat der Kläger kein berechtigtes Interesse. Seine Klage ist daher insoweit unzulässig.

Der Kläger hat auf Befragen dem Gericht erklärt, es gehe ihm hauptsächlich darum, daß die Verantwortung des Oberbürgermeisters und des Kriminaldirektors der Landeshauptstadt München für die mangelhafte Organisation des Polizeieinsatzes und die dadurch verursachten Ausschreitungen bei den “Schwabinger Krawallen” geklärt werde. Er wolle mit seiner Klage erreichen, daß diese Personen wegen ihres damaligen Verhaltens bestraft würden.

Inwiefern die erstrebte verwaltungsgerichtliche Feststellung für ein Strafverfahren bedeutsam sein könnte, kann dahingestellt bleiben. Denn das Interesse des Klägers daran, daß wegen der von ihm als nichtig angesehenen Maßnahmen ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen einzelne Beamte eingeleitet wird und diese Beamten bestraft werden, ist kein berechtigtes Interesse im Sinne der verwaltungsgerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit dieser Maßnahmen. Dagegen spricht schon, daß nach § 121 VwGO rechtskräftige Urteile nur die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger binden, die Beteiligten des vorliegenden Prozesses jedoch nicht identisch mit den Prozeßsubjekten des etwaigen Strafprozesses wären. Die Aufforderung zur Räumung der Leopoldstraße am 24. Juni 1962 und die Androhung unmittelbaren Zwanges hatten für den Kläger – möglicherweise anders als die Vollziehung dieser Verwaltungsakte durch die Polizeivollzugsbeamten – keinen diskriminierenden Charakter. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger wieder in die gleiche Situation geraten könnte. Ein Schaden ist ihm, wie sich auch aus seinem eigenen Vorbringen ergibt, durch die Platzverweisung und die Androhung unmittelbaren Zwanges nicht entstanden; ein solcher könnte ihm allenfalls durch andere polizeiliche Maßnahmen erwachsen sein, insbesondere durch die den Polizeivollzugsbeamten erteilte Weisung, gegen die Menge mit unmittelbarem Zwang vorzugehen, und durch die Art und Weise, wie daraufhin unmittelbarer Zwang angewendet wurde.

Auch die hilfsweise erhobene Klage auf Feststellung, daß die Platzverweisung und die Androhung unmittelbaren Zwanges rechtswidrig gewesen seien, ist aus den dargelegten Gründen wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig; es braucht daher an dieser Stelle noch nicht geprüft zu werden, ob die Zulässigkeit der Klage daran scheitert, daß der Kläger keinen Widerspruch erhoben hat. Eine besondere Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der beiden Verwaltungsakte ist nicht etwa im Hinblick auf die Rechtskontrolle der Anwendung unmittelbaren Zwanges erforderlich. Denn die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme kann in vollem Umfang überprüft werden, ohne daß zuvor die Rechtswidrigkeit der Platzverweisung und der Androhung unmittelbaren Zwanges im Urteilsausspruch besonders festgestellt werden müßte. Da diese Verwaltungsakte nach Wiederherstellung der Ordnung in der Nacht vom 24. zum 25. Juni 1962 erledigt waren und seitdem ihre verwaltungsgerichtliche Aufhebung nicht mehr in Betracht kam, könnte bei Uberprüfung der Rechtmäßigkeit der Anwendung unmittelbaren Zwanges dem Kläger nicht entgegengehalten werden, er habe die ihr voraufgegangenen Verwaltungsakte unanfechtbar werden lassen.

Die Klage ist ferner unzulässig, soweit hilfsweise die Aufhebung der Platzverweisung und der Androhung unmittelbaren Zwanges begehrt wird. Mit ihrem Erlaß wurde das Ziel verfolgt, Ruhe und Ordnung auf der Leopoldstraße wiederherzustellen. Sobald dieser Erfolg eingetreten war, hatten die Verwaltungsakte ihren Zweck erreicht. Dies war der Fall, als in der Nacht vom 24. zum 25. Juni 1962 die Ordnungsstörung beseitigt war. Von diesem Zeitpunkt an, mithin schon vor Klageerhebung, waren die Platzverweisung und die damit verbundene Androhung unmittelbaren Zwanges nicht mehr wirksam. Wäre der Kläger auch bei den Vorfällen in der darauffolgenden Nacht zugegen gewesen, so hätte ihm gegenüber eine erneute Platzverweisung ergehen müssen. Der Kläger war demnach durch die von ihm mit dem Aufhebungsantrag angefochtenen Verwaltungsakte schon am 25. Juni 1962 nicht mehr beschwert; für ihre Aufhebung war seitdem kein Raum mehr.

Da die Klage sich insoweit als unzulässig erweist, erübrigt sich ein Eingehen auf die Verfahrensrügen der Revision und ihre vom Berufungsurteil abweichende Auffassung über die Beweislast im Verwaltungsprozeß.

2. Die Revision ist dagegen begründet, soweit der Kläger feststellen lassen möchte, daß die Art und Weise der Anwendung unmittelbaren Zwanges ihm gegenüber rechtswidrig gewesen sei. Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, daß diese Klage deshalb unzulässig sei, weil der Kläger keinen Widerspruch erhoben hat.

Gegenüber dem Kläger wurde unmittelbarer Zwang dadurch angewandt, daß Polizeivollzugsbeamte, nachdem die mehrere Tausend Menschen zählende Menge der Aufforderung zur Räumung der Straße nicht nachgekommen war, mit Hilfe von Hiebwaffen die Platzverweisung durchsetzten und dabei den Kläger schlugen. Dieses Vorgehen war nicht nur rein tatsächliches Handeln, sondern erfüllt, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat, die Begriffsmerkmale des Verwaltungsaktes im Sinne des § 42 VwGO. Die Anwendung unmittelbaren Zwanges ist, da durch sie die Rechte des einzelnen besonders stark berührt werden können, eingehend geregelt (z.B. Art. 38, 39 und 40 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern – Polizeiaufgabengesetz – vom 16. Oktober 1954 [BayBS I, 442] in der Fassung vom 3. April 1965 [GVBl., 95], §§ 1, 2, 4 und 7 des Gesetzes über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes vom 10. März 1961 [BGBl. I, 165]). Die Polizei kann nicht nur durch schriftlichen oder mündlichen Verwaltungsakt, sondern auch durch konkludentes Verhalten mittels Anwendung körperlicher Gewalt die betroffenen Bürger zu einem bestimmten Verhalten veranlassen (Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 9. Aufl.,, 191 f.). Mit der Beurteilung der Zwangsmaßnahme als Verwaltungsakt weicht der Senat nicht von dem Urteil des V. Senats vom 9. Juli 1956 (NJW 1956, 1652 = DÖV 1956, 728 = DVBl 1957, 58) ab. Der V. Senat hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, daß gegen die Art und Weise der Vollzugsmaßnahme keine Einwendungen erhoben worden seien; im vorliegenden Fall fühlt sich der Kläger aber gerade durch die Vollzugsmaßnahme beschwert.

Dieser Verwaltungsakt hat sich spätestens zu dem Zeitpunkt erledigt, als die Störung der öffentlichen Ordnung auf der Leopoldstraße beseitigt war. Schon am 25. Juni 1962 wäre daher ein Rechtsschutzbegehren des Klägers, das auf die Aufhebung des Verwaltungsaktes gerichtet gewesen ware, ins Leere gegangen. Erledigt war der Verwaltungsakt nicht etwa deswegen, weil er vollzogen worden war, sondern weil sich die Geltungsdauer des durch Anwendung unmittelbaren Zwanges vollzogenen polizeilichen Gebotes nach Verlassen der Leopoldstraße inhaltlich erschöpft hatte und die Anwendung unmittelbaren Zwanges nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Der Kläger hat daher mit Recht nicht die Aufhebung dieses Verwaltungsaktes beantragt, sondern von Anfang an die Feststellung begehrt, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen sei.

Hat sich der Verwaltungsakt vor Erlaß des Urteils erledigt, so spricht das Gericht gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Dies trifft auch bei Verwaltungsakten zu, die sich schon vor der Klageerhebung erledigt haben (BVerwGE 12, 87 [90]). Ob in einem solchen Falle ein Vorverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO erforderlich ist, ergibt sich aus § 68 VwGO. Der erkennende Senat vertritt hierzu, übereinstimmend mit Ule (Verwaltungsprozeßrecht, 4. Aufl. 1966, 170 f.), folgende Auffassung:

Das Vorverfahren (§§ 68 ff. VwGO) ist Sachurteilsvoraussetzung bei Anfechtungsklagen und Verpflichtungsklagen. Die Anfechtungsklage ist eine Gestaltungsklage, die auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (§§ 42 Abs. 1, 113 Abs. 1 S. 1 VwGO), eventuell verbunden mit der Rückgängigmachung seiner Vollziehung (§ 113 Abs. 1 Sätze 2 und 3 VwGO). Die Verpflichtungaklage richtet sich auf die Verurteilung einer Behörde zum Erlaß eines Verwaltungsaktes (§§ 42 S. 1, 113 Abs. 4 VwGO). Von diesen Klagearten unterscheidet sich nach Art und Ziel die Klage, die auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsaktes gerichtet ist. Diese Klage zielt nicht auf die Beseitigung eines den Kläger beschwerenden oder auf die Vornahme eines ihn begünstigenden Verwaltungsaktes; bei ihr geht es um die nur deklaratorische Klärung der Frage, ob der nicht mehr wirksame und auch nicht mehr rückgängig zu machende Verwaltungsakt rechtmäßig oder rechtswidrig war. Der Auffassung, daß es sich bei diesem Rechtaschutzbegehren um keine Anfechtungsklage, sondern um eine Feststellungsklage handelt, steht weder § 43 noch § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO entgegen. Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann im Wege der Feststellungsklage außer der Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes begehrt werden. Durch diese Beschränkung auf die Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes sollte, wie sich aus § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ergibt, dem Rechtsschutzsuchenden nicht die Möglichkeit verschlossen werden, nur die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zunächst wirksamen, danach erledigten – Verwaltungsaktes zu begehren. § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO steht zwar im Zusammenhang mit den Vorschriften für das Urteil bei Anfechtungsklagen. Dies allein rechtfertigt indessen nicht die Auffassung des Berufungsgerichts, daß eine Klage, mit der von Anfang an die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines vor Klageerhebung erledigten Verwaltungsaktes begehrt wird, als Anfechtungsklage – unter Einhaltung der §§ 68 ff. VwGO – erhoben werde. Da somit der Kläger keine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage erhoben hat, konnte er ohne Vorverfahren Klage erheben.

Dieses Ergebnis steht auch im Einklang mit dem Zweck und der Bedeutung des Vorverfahrens. Dieses Verfahren hat verschiedene Aufgaben: Es gibt dem Betroffenen die Möglichkeit, bisher nicht geprüfte Einwendungen vorzubringen, und der Verwaltung die Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes nachzuprüfen, durch Aufhebung des angefochtenen bzw. durch Erlaß des beantragten Verwaltungsaktes den Betroffenen klaglos zu stellen oder aber ihn durch einen Widerspruchsbescheid, der auf seine Einwendungen eingeht, von der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu überzeugen, damit den ordnungsmäßigen Gang der Verwaltung zu sichern, zum Vorteil des Betroffenen und der Verwaltung unnötige Klagen zu verhindern und dadurch schließlich auch

die Yerwaltungsgerichtsbarkeit zu entlasten. Einen wesentlichen Teil dieser Aufgaben kann das Vorverfahren nicht mehr erfüllen, wenn sich der Verwaltungsakt erledigt hat und nur noch seine Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit festgestellt werden kann. Die Nachprüfung der Zweckmäßigkeit wäre für den Betroffenen in Fällen der vorliegenden Art ohne Interesse. Die Aufhebung des Verwaltungsaktes und damit eine Korrektur, die sich auf den Gang der Verwaltung auswirken könnte, ist nicht mehr möglich. Der für den erledigten Verwaltungsakt verantwortlichen Behörde oder der nächsthöheren Behörde ist es zwar nicht verwehrt, sich zu äußern, wie sie die Rechtmäßigkeit des nicht mehr wirksamen Verwaltungsaktes beurteile, die Abgabe einer solchen Erklärung gehört aber nicht zu den Aufgaben, die der Verwaltung durch §§ 68 ff. VwGO übertragen sind. Die Verwaltungsbehörde hat im Vorverfahren nachzuprüfen, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung des Antrages auf Vornahme eines Verwaltungsaktes rechtmäßig ist. Sie muß dem Widerspruch gegebenenfalls dadurch abhelfen oder stattgeben, daß sie den rechtswidrigen Verwaltungsakt aufhebt oder den zu Unrecht verweigerten Verwaltungsakt erläßt. Dagegen ist es nicht Sache der Verwaltung, auch darüber verbindlich zu entscheiden, ob ein erledigter Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Eine solche Feststellung der Verwaltungsbehörde hätte zudem in einem etwaigen Amtshaftungsprozeß geringeres Gewicht als eine entsprechende rechtskräftige Verwaltungsgerichtsentscheidung.

Die Erledigung des Verwaltungsaktes macht allerdings nicht schlechthin – gewissermaßen rückwirkend – die Einhaltung der §§ 68 ff. – VwGO entbehrlich. Auch wenn der Verwaltungsakt sich erledigt hat und deshalb statt der Anfechtungsklage nur noch die Feststellung im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 Vw GO möglich und zulässig ist, gelten doch für das Verfahren bis zur Erledigung nach wie vor die Vorschriften des Anfechtungsverfahrens, insbesondere die Fristvorschriften. Eine verspätet erhobene Anfeohtungsklage wird nicht deshalb zur zulässigen Feststellungsklage, weil sich der angefochtene Verwaltungsakt während des Verwaltungsprozesses erledigt hat. Unzulässig ist auch die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes, der sich erledigt hat, nachdem der Betroffene die Widerspruchsfrist versäumt hat. Hat sich hingegen der Verwaltungsakt – wie im vorliegenden Fall – schon vor Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt, so bedarf es nicht der Erhebung des Widerspruchs. Ob die Klage zeitlich unbeschränkt erhoben werden kann, wenn der Verwaltungsakt sich innerhalb der Widerspruchsfrist oder nach rechtzeitigem Widerspruch innerhalb der Klagefrist erledigt, kann allerdings zweifelhaft sein. Es mag manches dafür sprechen, die Fristvorschriften in § 74 Abs. 1 S. 2 VwGO und – falls keine Rechtsmittelbelehrung erfolgt – in § 58 Abs. 2 VwGO entsprechend anzuwenden. Dies bedarf jedoch im vorliegenden Fall keiner abschließenden Entscheidung, da die Klage zehn Tage nach Ergehen des Verwaltungsaktes erhoben wurde.

Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht am Erfordernis des berechtigten Interesses des Klägers an der von ihm begehrten Feststellung. Ob dieses Interesse durch die Absicht des Klägers, das Urteil in einem Amtshaftungsprozeß zu verwerten, genügend dargetan wäre, kann dahingestellt bleiben. Auch wenn der Kläger diese Absicht nicht hätte, könnte ihm das berechtigte Interesse an der verwaltungsgerichtlichen Feststellung, daß der gegen ihn angewandte unmittelbare Zwang rechtswidrig gewesen sei, nicht abgesprochen werden. Der Kläger wurde nach seiner Darstellung bei dem Tumult von Polizeivollzugsbeamten geschlagen. Er hat substantiiert vorgetragen, die Beamten hätten ihn ohne hinreichenden Grund mit Waffengewalt mißhandelt. Sollte dies wirklich zutreffen, so wäre er durch eine obrigkeitliche Maßnahme in seiner Menschenwürde verletzt worden. Eine solche Grundrechtsverletzung der Exekutive ließe sich zwar durch die Klage nicht mehr aus der Welt schaffen. Durch die ausdrückliche gerichtliche Feststellung, daß das Vorgehen der Polizei gegen den Kläger rechtswidrig war, könnte jedoch der durch den polizeilichen Übergriff diskriminierte Bürger angemessen rehabilitiert werden. Auf die Möglichkeit, hierwegen Ansprüche in einem Amtshaftungsprozeß geltend zu machen oder Genugtuung in einem Strafprozeß zu suchen, braucht er sich im Verwaltungsprozeß nicht verweisen zu lassen. Es hieße den nach Art. 19 Abs. 4 GG zu gewährenden Rechtsschutz beschneiden, wenn man dem Betroffenen in solchem Falle die isolierte gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit vorenthalten wollte. Daß die diskriminierende Wirkung eines Verwaltungsaktes das berechtigte Interesse an der Feststellung seiner Rechtswidrigkeit begründen kann, hat der Senat bereits in BVerwGE 12, 87 [90] ausgesprochen (Zum Rechtsschutzbedürfnis bei “Polizeiexzessen”: Geiger in Festschrift für den 45. Deutschen Juristentag, 1964,, 61 ff. [75]).

3. Über die Klage kann aber noch nicht abschließend entschieden werden, weil ausreichende tatsächliche Feststellungen im Berufungsurteil fehlen. Das Berufungsgericht hat hinsichtlich der Art und Weise, wie die Polizeivollzugsbeamten gegen den Kläger eingeschritten sind, lediglich festgestellt, der Kläger sei gegen 24.00 Uhr an der Ecke der Ledpoldstraße/Franz-Joseph-Straße von Polizeibeamten mit Hiebwaffen geschlagen worden. Dazu ist folgendes zu bemerken:

Durch die Menschenansammlung auf der Leopoldstraße wurde anderen Bürgern die bestimmungsgemäße Benutzung der Straße unmöglich gemacht. Dadurch und durch die vom Berufungsgericht festgestellte Störung der Nachtruhe der Anwohner und Beschädigung von Kraftfahrzeugen auf der Straße wurde die öffentliche Sicherheit und Ordnung gestört. Daß die Polizei hiergegen einschreiten durfte, kann keinem Zweifel unterliegen. Die Tatsache, daß sie zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgabe körperliche Gewalt gegen Personen angewendet und sich dabei dienstlich zugelassener Waffen und etwaiger sonstiger Hilfsmittel wie z.B. Wasserwerfer bedient hat, besagt nicht, daß ihr Einschreiten gegenüber dem Kläger rechtswidrig gewesen wäre. Solche Maßnahmen sind an sich legale Mittel der Polizei. Es kommt jedoch darauf an, ob und wie von ihnen im Einzelfall Gebrauch gemacht worden ist. Insbesondere mußten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Übermaßverbot beachtet werden. Bei der rechtlichen Würdigung des polizeilichen Vorgehens ist die gesamte Situation zu berücksichtigen, die den Einsatz der Polizei erforderlich gemacht hatte. Der Kläger nimmt mit Recht für sich in Anspruch, daß er von der Polizei nicht grundlos angegriffen und geschlagen wird.

Dadurch, daß sie zur Beseitigung einer Ordnungsstörung eingesetzt wurden, waren die Vollzugsbeamten nicht berechtigt, körperliche Gewalt über das erforderliche Maß hinaus anzuwenden und ihren Einsatz dazu zu benutzen, “Zivilisten” zu verprügeln. Aber auch die Polizeibeamten, die gegen Störer rechtmäßig einschreiten, brauchen sich nicht gefallen zu lassen, daß sie dabei geschlagen oder auf andere Weise an der gesetzlich einwandfreien Ausübung ihres Dienstes gehindert werden.

Die weiteren Feststellungen des Berufungsgerichts können unter Umständen ergeben, daß der Kläger der Platzverweisung dadurch nachzukommen versuchte, daß er sich mit seiner Frau in den Flur eines nahestehenden Hauses begab. Sollte dies der Fall gewesen sein, so würde sich die Frage stellen, ob er dadurch noch die öffentliche Ordnung störte und von der Polizei – durch Anwendung unmittelbaren Zwanges – zur Rückkehr auf die Leopoldstraße veranlaßt werden durfte, wo dann nach den Feststellungen des Berufungsgerichts unmittelbarer Zwang gegen ihn angewendet wurde, damit er diese Straße wieder verließ.

Beschluß

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 3.000 DM festgesetzt.