Eine aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 10. Januar 2024 (Az.: 6 StR 324/23) wirft die komplexen Facetten des Rücktritts vom Versuch einer Straftat auf und fokussiert sich in seiner Betrachtung auf die genauere Darstellung der benötigten Freiwilligkeit des Rücktrittverhaltens. Diese Entscheidung betont, dass nicht jede Entscheidung gegen die Tatvollendung automatisch eine Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortung bedeutet, vor allem dann nicht, wenn diese Entscheidung maßgeblich durch die Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen motiviert ist.
Im Zentrum des Urteils steht § 24 des Strafgesetzbuchs (StGB), der die Voraussetzungen für die Straffreiheit bei einem Rücktritt vom sowohl unbeendeten als auch beendeten Versuch normiert. Diese gesetzliche Verankerung trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schritt vom Unrecht zur rechtlichen Sanktionierung nicht unumkehrbar sein muss, solange die Tat noch nicht vollendet wurde. Damit bildet die Möglichkeit des Rücktritts ein rechtliches Korrelat zur menschlichen Fähigkeit, einen fehlgeleiteten Pfad zu verlassen und sich bewusst gegen die Fortsetzung eines deliktischen Handelns zu entscheiden.
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Die rechtliche Konzeption des Rücktritts vom Versuch einer strafbaren Handlung verkörpert im Kern des Strafrechts einen bedeutenden Grundsatz: Die Anerkennung der menschlichen Fähigkeit zur Einsicht und zur Korrektur des eigenen Verhaltens vor der finalen Verwirklichung einer Straftat. Die Regelungen zum Rücktritt vom Versuch bieten somit ein juristisches Fenster zur Straffreiheit, das auf dem Fundament der individuellen Selbstreflexion und der Entscheidung gegen das Unrecht errichtet ist. Im Allgemeinen kennt das Strafrecht verschiedene Stadien der Tatbeteiligung, von denen der Versuch eine besondere Rolle einnimmt. Diese differenzierte Betrachtungsweise spiegelt das komplexe Verhältnis zwischen der individuellen Verantwortung und der gesellschaftlichen Erwartung von Rechtskonformität wider.
Im Zentrum der Regelungen zum Rücktritt vom Versuch steht § 24 des Strafgesetzbuches (StGB), der die Voraussetzungen für die Straffreiheit bei einem Rücktritt vom sowohl unbeendeten als auch beendeten Versuch normiert. Ein unbeendeter Versuch liegt vor, wenn der Täter glaubt, nicht alle zur Tatbestandsverwirklichung erforderlichen Handlungen vorgenommen zu haben. Ein beendeter Versuch ist gegeben, wenn der Täter annimmt, alles Erforderliche getan zu haben, und nun ein Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs erwartet. Die Norm trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schritt vom Unrecht zur rechtlichen Sanktion nicht unumkehrbar ist, solange die Tat nicht vollendet wurde. Die Möglichkeit des Rücktritts bildet daher ein rechtliches Korrelat zur menschlichen Fähigkeit, einen begonnenen fehlgeleiteten Pfad zu verlassen und sich bewusst gegen die Fortsetzung eines deliktischen Handelns zu entscheiden.
Das Gesetz differenziert zwischen dem Rücktritt vom unbeendeten und dem beendeten Versuch. Diese Unterscheidung trägt der unterschiedlichen Nähe des Täterhandelns zur potenziellen Tatvollendung Rechnung. Beim unbeendeten Versuch genügt das bloße Aufgeben der weiteren Ausführung, um die Straffreiheit zu begründen, § 24 Absatz 1 Satz 1 Variante 1 StGB. Dies spiegelt die Überlegung wider, dass der Täter in einem frühen Stadium der Tatdurchführung von weiteren Schritten Abstand nimmt. Demgegenüber erfordert der Rücktritt von einem beendeten Versuch ein aktives Handeln zur Verhinderung der Tatvollendung, § 24 Absatz 1 Satz 1 Variante 2 StGB. Hier wird die höhere Schwelle zur Straffreiheit durch die bereits fortgeschrittenere Realisierung der Tat begründet.
Ein wesentliches Element des Rücktritts ist die Freiwilligkeit der Entscheidung gegen die Tatvollendung. Freiwilligkeit im Sinne des Rücktrittsrechts bedeutet, dass der Täter aufgrund einer selbstbestimmten, von äußeren Zwängen unbeeinflussten Entscheidung handelt. Die Rechtsprechung betont, dass die Motivation für den Rücktritt einem autonomen Entschluss entspringen muss. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Beweggründe moralisch hochstehend sind oder nicht; entscheidend ist allein, dass der Täter aus eigener Überzeugung handelt und nicht etwa aufgrund unüberwindbarer äußerer Hindernisse oder einer bloßen Verschiebung des Tatplans.
Die Regelungen zum Rücktritt vom Versuch reflektieren eine normative Grundentscheidung des Gesetzgebers, die den Wert der persönlichen Umkehr und der Verhinderung der Tatvollendung in den Vordergrund stellt. Indem das Recht dem Täter die Möglichkeit zur Straffreiheit bei einem freiwilligen und wirksamen Rücktritt eröffnet, betont es die Bedeutung der Eigenverantwortung und der Fähigkeit zur moralischen und rechtlichen Selbstkorrektur. Diese Konzeption trägt nicht nur zur Resozialisierung des Täters bei, sondern dient auch dem Schutz potenzieller Opfer und der Prävention künftiger Straftaten.
In der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs fand eine bemerkenswerte Entscheidung statt, die die Konturen des Rücktritts vom Versuch einer Straftat im deutschen Strafrecht schärft und sich dezidiert mit dem Aspekt der Freiwilligkeit auseinandersetzt. Die Entscheidung verdeutlicht, dass nicht jeder Akt der Abkehr von einer beabsichtigten Straftat den Täter von strafrechtlicher Verantwortung befreit, insbesondere dann nicht, wenn die Motivation für diese Abkehr primär in der Angst vor strafrechtlichen Konsequenzen begründet liegt.
Ein Mann fasste den Entschluss, eine Frau zu töten und im Anschluss an den Mord sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Der Täter, ein Handwerker, der in der Wohnung des Opfers arbeitete, führte mehrere schwere Schläge mit einem Hammer auf den Kopf der Frau aus, wodurch sie schwer verletzt wurde. Nach den Schlägen und unter der Annahme, dass die Frau aufgrund der Verletzungen sterben würde, entschloss sich der Täter, von der weiteren Ausführung seiner ursprünglichen Absicht, sexuelle Handlungen vorzunehmen, abzusehen. Stattdessen verließ er den Tatort in einem Zustand der Panik und Furcht vor den strafrechtlichen Konsequenzen seines Handelns. In einem Moment der Verzweiflung und getrieben von der Angst vor den drohenden rechtlichen Folgen seiner Tat, entschied sich der Täter, einen Notruf zu tätigen. Er alarmierte Passantinnen und bat diese, den Notruf zu wählen, um Hilfe für das schwer verletzte Opfer zu organisieren. Der Täter schilderte die Situation so, als wäre die Frau von einem unbekannten Einbrecher angegriffen worden, und leitete somit die Rettungsmaßnahmen ein.
Im Kern der betrachteten BGH-Entscheidung steht insofern die Frage, inwiefern ein Notruf, der aus der Furcht vor drohenden strafrechtlichen Sanktionen getätigt wird, als freiwilliger Rücktritt von einem bereits begangenen Versuch zu werten ist. Die spezifische Konstellation des Falles offenbart die tiefen moralischen und juristischen Schichten, die es bei der Beurteilung der Freiwilligkeit eines Rücktritts zu durchdringen gilt.
Die Freiwilligkeit des Rücktritts erfordert eine eigenständige, nicht durch äußere Umstände erzwungene Entscheidung des Täters, von der weiteren Tatdurchführung abzusehen. Die Schwierigkeit der Bewertung der Freiwilligkeit liegt in der subjektiven Natur dieser Entscheidung, die eine sorgfältige Abwägung der Beweggründe und Umstände erfordert, welche den Täter zur Abkehr von seinem Vorhaben bewogen haben.
Der BGH bestätigte im vorliegenden Fall die Einschätzung der Vorinstanz, dass ein freiwilliger Rücktritt vom Versuch eine Entscheidung voraussetzt, die aus einem autonomen Entschluss zur Abkehr von der Tat resultiert. Im vorliegenden Fall wurde die Handlung des Täters, insbesondere das Tätigen des Notrufs, primär durch die Furcht vor den persönlichen Konsequenzen und nicht durch eine selbstbestimmte moralische oder rechtliche Einsicht motiviert. Folglich erfüllte der Täter nicht die Voraussetzungen eines freiwilligen Rücktritts vom beendeten Versuch, da seine Handlungen nicht aus einer willensgesteuerten und selbstbestimmten Entscheidung gegen die Tatvollendung resultierten, sondern aus einer reaktiven Furcht vor Entdeckung und Strafe.
Die BGH-Entscheidung illustriert, dass ein Rücktritt, der unter dem dominierenden Einfluss der Furcht vor Entdeckung und strafrechtlicher Verfolgung steht, die Schwelle zur Freiwilligkeit nicht überschreitet. Diese Auslegung gründet auf der Überlegung, dass eine Handlung, die primär durch den Wunsch motiviert ist, den persönlichen Konsequenzen einer Straftat zu entgehen, nicht den Anforderungen an eine willensgesteuerte, eigenverantwortliche Entscheidung gegen die Tatvollendung genügt.
Dieses Urteil des BGH verdeutlicht die strenge Auslegung des Merkmals der Freiwilligkeit beim Rücktritt vom Versuch und unterstreicht die Notwendigkeit einer tiefergehenden moralischen und rechtlichen Reflexion seitens des Täters. Sie zeigt auf, dass der reine Akt der Abkehr von der Tatvollendung, selbst wenn dieser faktisch zum Leben des Opfers beiträgt, nicht zwangsläufig strafbefreiend wirkt, sofern die Motivation hinter dieser Handlung nicht den Anforderungen an eine willensgesteuerte, autonome Entscheidung entspricht.
Diese juristische Positionierung öffnet ein Fenster zur ethischen Dimension der Thematik. Sie konfrontiert die Rechtsgemeinschaft mit der Frage nach dem Wesen und den Grenzen der persönlichen Verantwortung. Die Entscheidung des BGH betont, dass eine wahre Rückkehr zur Rechtschaffenheit eine Handlung erfordert, die über die bloße Vermeidung negativer persönlicher Konsequenzen hinausgeht und auf einer grundlegenden, inneren Abkehr von der Unrechtsmaxime basiert.
Die BGH-Entscheidung stellt einen Paradefall für die Betrachtung der Freiwilligkeit im Kontext des Rücktritts vom Versuch dar. Die Konstellation, in der ein Täter, getrieben von der akuten Angst vor den strafrechtlichen Konsequenzen seiner Handlungen, einen Notruf tätigt, bildet den Kern des Falles. Die Handlung, die allgemein als Rettungsversuch und damit potenziell als Rücktritt vom Versuch gesehen werden könnte, wird vom Bundesgerichtshof nicht als Ausdruck einer freiwilligen und moralisch fundierten Entscheidung gegen die Tatvollendung gewertet. Diese juristische Auslegung offenbart eine tiefe Einsicht in die menschliche Natur: Die Entscheidung, sich von einer Tat abzuwenden, muss mehr sein als eine reflexartige Reaktion auf die Furcht vor persönlichen Konsequenzen. Sie muss vielmehr eine bewusste und autonome moralische Wahl darstellen, die unabhängig von äußeren Zwängen oder dem Druck potenzieller Sanktionen getroffen wird. Die strenge Auslegung dieses Prinzips durch den BGH deutet darauf hin, dass im Rahmen des Strafrechts eine Handlung nur dann als freiwillig erachtet wird, wenn sie aus einer inneren Überzeugung heraus erfolgt, die über die unmittelbare Reaktion auf externe Umstände hinausgeht. Diese Interpretation setzt einen hohen ethischen Maßstab für das Rücktrittsrecht und betont die Bedeutung der inneren moralischen Reflexion über die bloße Vermeidung negativer Konsequenzen hinaus.
Insgesamt verdeutlicht die BGH-Entscheidung die Komplexität und die tiefen moralischen Schichten, die dem Rücktritt vom Versuch inhärent sind. Sie illustriert, wie das Strafrecht nicht nur als ein Instrument der Sanktionierung, sondern auch als ein Medium der moralischen Bildung und der ethischen Reflexion fungiert. Durch das Aufzeigen der Notwendigkeit einer authentischen moralischen Entscheidung für den Rücktritt verbindet diese Rechtsprechung das Strafrecht mit grundlegenden philosophischen Fragen der Freiheit, der Verantwortung und der Möglichkeit der moralischen Umkehr. Dadurch trägt sie zu einem tieferen Verständnis der Rolle des Rechts in der Gestaltung moralischer Normen bei.