Catcalling, ein Begriff, der in den letzten Jahren zunehmend in der öffentlichen Debatte an Bedeutung gewonnen hat, beschreibt eine Form der verbalen sexuellen Belästigung. Unter diesem Begriff fallen insbesondere sexuell anzügliche Rufe, Bemerkungen, Pfiffe oder Gesten, die meist in der Öffentlichkeit stattfinden. Meist handelt es sich hierbei mehr als nur um harmlose Anmachsprüche: Unabhängig davon, was Frauen tragen, wo sie sich befinden oder zu welcher Uhrzeit sie unterwegs sind, werden Frauen mit anstößigen und respektlosen Kommentaren wie „geile Titten“, “zeig mal deine Kurven” oder „lass ficken“ belästigt.
Typischerweise richtet sich Catcalling gegen Frauen. Nach einer Pilotstudie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend aus dem Jahr 2022 erlebten rund 44 % der Frauen in Deutschland Situationen, in denen sie Opfer einer verbalen sexuellen Belästigung wurden. Für viele Frauen ist das Catcalling daher eine unerwünschte Erfahrung, die sie mindestens einmal im Leben machen mussten. Viel verheerender sind zudem die Auswirkungen solcher Handlungen, die von leichten Irritationen bis hin zu tiefgreifenden psychologischen Belastungen reichen. Doch inwieweit ist Catcalling nach der aktuellen Gesetzeslage in Deutschland strafbar? Und sollte es das rechtspolitisch betrachtet überhaupt sein? Diese Fragen sollen im folgenden Beitrag beleuchtet werden.
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Catcalling ist ein Phänomen, das seinen Ursprung in der englischen Umgangssprache hat und mittlerweile auch in Deutschland als Begriff für eine spezifische Form der verbalen sexuellen Belästigung etabliert ist. Es beschreibt primär das Hinterherrufen, Hinterherpfeifen oder das Abgeben anzüglicher Kommentare, die meist in öffentlichen Räumen an Frauen gerichtet sind. Dabei handelt es sich um eine Form der Kommunikation, die häufig ohne Einwilligung und unerwartet erfolgt, und darauf abzielt, die Aufmerksamkeit der betroffenen Person auf ihr Geschlecht und ihr äußeres Erscheinungsbild zu lenken.
Catcalling geht jedoch über die bloße Äußerung von Kommentaren hinaus. Es umfasst jegliche verbale Ausdrucksweise, die sexuelle Konnotationen trägt und dazu dient, das Gegenüber auf eine unangemessene und oft entwürdigende Weise auf seine körperlichen Merkmale zu reduzieren. Dies kann von scheinbar harmlosen Kommentaren wie „Hey, hübsche Beine!“ bis hin zu deutlich obszöneren Bemerkungen oder Gesten reichen, die das Gegenüber als sexuelles Objekt darstellen. Der Kern des Catcallings liegt indes in der Reduktion der betroffenen Person auf ihr Äußeres und die damit verbundene Verletzung ihrer Würde und persönlichen Integrität.
Die Auswirkungen von Catcalling auf die Betroffenen sind tiefgreifend und dürfen nicht unterschätzt werden. Zahlreiche Studien und Erfahrungsberichte haben gezeigt, dass Catcalling nicht nur als lästig oder unangenehm empfunden wird, sondern auch ernsthafte psychologische Folgen haben kann. Betroffene berichten häufig von einem starken Gefühl der Unsicherheit und Verletzlichkeit, das durch solche verbalen Übergriffe ausgelöst wird. Dieses Gefühl kann zu einer dauerhaften Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls führen, da die Betroffenen sich in ihrer persönlichen Integrität angegriffen fühlen und ihre Person auf ein sexuelles Objekt reduziert sehen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Angst, die durch solche Erlebnisse ausgelöst wird. Viele Betroffene entwickeln nach wiederholten Catcalling-Vorfällen ein erhöhtes Bewusstsein für potenzielle Gefahren in ihrer Umgebung. Dies kann dazu führen, dass sie bestimmte Orte oder Situationen meiden, um weiteren Belästigungen aus dem Weg zu gehen. Dieses vermeidende Verhalten hat zur Folge, dass die Betroffenen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden und sich in öffentlichen Räumen weniger sicher fühlen. Für viele Frauen bedeutet dies, dass sie bestimmte Routen nur zu bestimmten Tageszeiten wählen oder abends gar nicht mehr allein unterwegs sind.
Die gesellschaftliche Relevanz von Catcalling liegt in der allgegenwärtigen Natur dieses Phänomens und den weitreichenden Konsequenzen, die es für das öffentliche Leben und die individuelle Freiheit der Betroffenen hat. Catcalling ist nicht nur ein individuelles Problem, sondern spiegelt auch tief verwurzelte gesellschaftliche Normen und Machtstrukturen wider. Es perpetuiert Geschlechterstereotype und festigt die Vorstellung, dass der weibliche Körper in der Öffentlichkeit zur freien Verfügung steht.
Zudem trägt Catcalling zur Normalisierung von sexualisierter Gewalt bei. Auch wenn es sich nicht um körperliche Übergriffe handelt, wird durch solche verbalen Attacken eine Atmosphäre geschaffen, in der sexuelle Belästigung als alltägliches und akzeptables Verhalten wahrgenommen wird. Dies kann dazu führen, dass Betroffene sich nicht trauen, sich zur Wehr zu setzen oder solche Vorfälle anzuzeigen, aus Angst, nicht ernst genommen zu werden.
Die wiederholte Konfrontation mit Catcalling kann somit das Sicherheitsgefühl und das Vertrauen der Betroffenen in die Gesellschaft erheblich beeinträchtigen. In einer Gesellschaft, die auf Gleichberechtigung und Respekt basiert, stellt dies ein erhebliches Problem dar, das eine ernsthafte Auseinandersetzung und geeignete Gegenmaßnahmen erfordert.
Die aktuelle Rechtslage in Deutschland sieht keine spezifische Strafbarkeit für Catcalling vor. Das Strafgesetzbuch (StGB) erfasst nämlich sexuelle Übergriffe vor allem gerade dann, wenn sie körperlicher Natur sind, wie in den §§ 177 ff. StGB geregelt. Tathandlungen wie verbale sexuelle Belästigungen, wie sie beim Catcalling vorkommen, werden jedoch auch weiterhin nur unter bestimmten Voraussetzungen strafrechtlich verfolgt und fallen gerade nicht unter den Tatbestand des sexuellen Übergriffs (§ 177 StGB) oder der sexuellen Belästigung (§ 184i StGB).
Die Möglichkeit, Catcalling unter § 185 StGB als Beleidigung zu subsumieren, hängt stark von den Umständen des Einzelfalls ab. Nach § 185 StGB ist eine Beleidigung strafbar, wenn die verbale Äußerung die Ehre des Opfers in einer Weise verletzt, die als herabwürdigend oder ehrverletzend angesehen wird. Dabei kann es sich sowohl um Tatsachenbehauptungen als auch um Werturteile handeln, die die Ehre einer Person beeinträchtigen.
Die rechtliche Hürde, Catcalling als Beleidigung zu ahnden, ist jedoch hoch. Dies zeigt exemplarisch ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem Jahr 2017. In diesem Fall hatte ein Mann auf offener Straße ein elfjähriges Mädchen obszön angesprochen, unter anderem mit der Bemerkung, dass er sie „an ihrer Muschi fassen“ wolle. Obwohl diese Aussage offenkundig anstößig und sexuell aufgeladen war, sah der BGH keine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB gegeben (BGH, Beschluss vom 02.11.2017, Az.: 2 StR 415/17). Der Mann wurde freigesprochen, weil die Äußerung nach Auffassung des Gerichts keine herabsetzende Bewertung der Person des Mädchens enthielt, sondern „bloß sexualbezogene oder grob sexuelle Äußerungen“ darstellte, die nicht den Tatbestand einer Beleidigung erfüllen.
Auch das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) bietet keine spezifische Grundlage zur Sanktionierung von Catcalling. Die §§ 118 und 119 OWiG, die Belästigungen der Allgemeinheit oder grob anstößige Handlungen regeln, erfassen das Phänomen nicht, da Catcalling meist als individuelle Belästigung und nicht als eine die Allgemeinheit betreffende Handlung wahrgenommen wird. Für eine Sanktionierung nach diesen Vorschriften müsste die Belästigung eine allgemeine Störung des öffentlichen Friedens darstellen, was bei den meisten Formen von Catcalling nicht der Fall ist
Diese Entscheidung des BGH verdeutlicht die Schwierigkeiten, die aktuelle Rechtslage auf verbale sexuelle Belästigungen wie Catcalling anzuwenden. Obwohl verbale sexuelle Belästigungen eine erhebliche Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsempfindens und der persönlichen Würde darstellen können, fehlt bislang eine klare gesetzliche Grundlage, um solche Handlungen strafrechtlich zu verfolgen. Angesichts dieser Lücken im Strafrecht wird diskutiert, ob eine spezifische Strafnorm geschaffen werden sollte, wie dies beispielsweise in Frankreich, Belgien und Portugal bereits der Fall ist.
Die bestehende Rechtslage in Deutschland wirft die Frage auf, ob die derzeitige Gesetzgebung ausreicht, um verbale sexuelle Belästigungen wie Catcalling angemessen zu sanktionieren. In Ländern wie Frankreich, Belgien und Portugal ist Catcalling bereits als Straftatbestand eingeführt worden. In Deutschland wird diese Frage weiterhin kontrovers diskutiert. Kritiker der aktuell vorzufindenden Gesetzesdebatte weisen darauf hin, dass das Strafrecht als „ultima ratio“ des staatlichen Eingriffshandelns nur bei hinreichend gewichtigen Angriffen auf Rechtsgüter zum Einsatz kommen sollte. Befürworter einer Strafbarkeit von Catcalling argumentieren hingegen, dass auch verbale sexuelle Übergriffe eine Form von Gewalt darstellen, die das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung und die persönliche Ehre verletzen.
Angesichts der wachsenden Debatte um die strafrechtliche Erfassung von Catcalling hat Niedersachsens Justizministerin Kathrin Wahlmann kürzlich eine Initiative gestartet, die darauf abzielt, verbale sexuelle Belästigung als Straftat zu ahnden. Sie sieht eine Strafbarkeitslücke im deutschen Rechtssystem, die es zu schließen gilt. Wahlmann betont, dass verbale sexuelle Übergriffe, die tief in die Privatsphäre der Betroffenen eindringen und Ängste auslösen, nicht als Bagatelle abgetan werden sollten. Ziel ihrer Initiative ist es, das Strafgesetzbuch so zu erweitern, dass auch verbale Formen der sexuellen Belästigung unter Strafe gestellt werden.
Zu den häufigsten Formen von Catcalling zählen das Hinterherpfeifen, Kussgeräusche, und anzügliche Kommentare wie „Hey Blondie“ oder „Geiler Hintern“. Solche Bemerkungen, die oft flüchtig und ohne unmittelbare Folge geäußert werden, erfüllen nach der aktuellen Rechtsprechung in der Regel nicht den Tatbestand der Beleidigung, da ihnen keine herabwürdigende Bewertung der Person zugrunde liegt. Jedoch könnte in besonders schwerwiegenden Fällen, in denen die Äußerungen eine deutliche Herabwürdigung des Opfers beinhalten, eine Strafbarkeit nach § 185 StGB in Betracht kommen. Sprechen Sie in diesem Fall unbedingt mit Freunden, Familie oder einer Vertrauensperson über das Erlebte und erwägen Sie rechtliche Schritte bei einer Beratungsstelle oder einem Anwalt.
Catcalling ist ein weitverbreitetes Phänomen, das weit über einen harmlosen Disput hinausgeht und für die Betroffenen schwerwiegende psychische und emotionale Folgen haben kann. Die derzeitige Rechtslage in Deutschland ermöglicht es, Catcalling in besonders schwerwiegenden Fällen zwar als Beleidigung zu verfolgen, doch bleibt die Frage offen, ob dies ausreicht, um den Opfern den nötigen Schutz zu gewährleisten. Während in anderen Ländern wie Frankreich und Belgien bereits spezifische Gesetze eingeführt wurden, die erfolgreich wirken, stellt sich in Deutschland nach wie vor die Frage, ob das Strafrecht erweitert werden sollte, um derartige Handlungen effizienter zu sanktionieren
Es wird insofern abzuwarten sein, wie der Gesetzgeber auf diese Herausforderungen reagiert. Die Diskussion deutet darauf hin, dass die Gesellschaft zunehmend erkennt, dass auch verbale Übergriffe nicht toleriert werden dürfen. Ob Catcalling jedoch zu einem eigenständigen Straftatbestand wird, hängt von weiteren politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen ab. Bis dahin bleibt es eine Herausforderung für die Rechtsprechung, in jedem Einzelfall eine ausgewogene Entscheidung zu treffen, die sowohl den Schutz der Opfer als auch die Prinzipien des Strafrechts wahrt.