BVerfG-Urteil: droht die Haushaltskrise?

Das Karlsruher Urteil hat tiefgreifende Auswirkungen auf die deutsche Finanzpolitik, insbesondere auf den sogenannten “Doppel-Wumms”, den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF). Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck bestätigte kürzlich, dass das Urteil weitreichende Konsequenzen hat, die über die ursprünglich identifizierte Finanzierungslücke von 60 Milliarden Euro hinausgehen. Diese Lücke entstand durch die Unzulässigkeit der Inanspruchnahme von Kreditermächtigungen aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF), gemäß dem Urteil vom 15.11.2023, Az. 2 BvF 1/22.

Der WSF, ursprünglich eingerichtet, um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Corona-Pandemie zu mildern, wurde im Jahr 2022 erweitert, um auch die Herausforderungen der Energiekrise zu bewältigen. Nach dem Ausbruch des Ukraine-Krieges wurde der Fonds ermächtigt, bis zu 200 Milliarden Euro an Krediten aufzunehmen. Diese Mittel wurden unter anderem zur Finanzierung der Strom- und Gaspreisbremsen verwendet. Das Urteil wirft nun Fragen auf, wie diese Maßnahmen weiterhin finanziert werden können, und könnte zu höheren Strom- und Gaspreisen für Verbraucher und Unternehmen führen.

Jährlichkeitsprinzip des Artikel 115 Grundgesetz

Die Schuldenbremse des Artikels 115 des Grundgesetzes erlaubt dem Bund, außergewöhnlich hohe Schulden nur in Notsituationen aufzunehmen. Im Jahr 2022 wurde eine solche Notlage deklariert, um von dieser Regel abweichen zu können. Doch das Karlsruher Urteil stellt nun diese Praxis in Frage, was die finanzielle Handlungsfähigkeit der Regierung in Krisenzeiten potenziell einschränkt.

Die rechtliche Bewertung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) zeigt deutliche Parallelen zum Klima- und Transformationsfonds (KTF), dessen Struktur vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft wurde. Eine zentrale Kritik am KTF betraf die Vorgehensweise der Ampelregierung, Kreditermächtigungen in Höhe von 60 Milliarden Euro für zukünftige Jahre anzulegen. Diese sollten über mehrere Jahre für Klimaschutzprojekte eingesetzt werden, was jedoch gegen das Jährlichkeitsprinzip des Artikels 115 des Grundgesetzes verstieß.

Ein ähnliches Problem wird nun beim WSF gesehen. Auch hier wurden Kreditermächtigungen für zukünftige Jahre auf Vorrat angelegt. Im Jahr 2023 wurden bereits rund 32 Milliarden Euro an Energiehilfen bereitgestellt, und es sind weitere Kreditaufnahmen geplant.

Welche Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sind möglich?

Verfassungsrechtler wie der Berliner Staatsrechtler Alexander Thiele und der Heidelberger Verfassungsrechtler Hanno Kube äußern Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit dieser Praxis. Thiele weist auf die ähnliche Konstruktion von WSF und KTF hin, die nach dem Karlsruher Urteil als problematisch angesehen wird. Kube betont, dass nach dem Urteil die Mittel aus Notlagenkrediten im gleichen Jahr verwendet werden müssen, sonst verfallen sie. Daraus folgt, dass die Kreditermächtigungen des WSF, die über das Jahr 2022 hinausgehen, möglicherweise als verfallen anzusehen sind. Diese Einschätzung wirft Fragen bezüglich der Zukunft des WSF und seiner Fähigkeit auf, weiterhin finanzielle Unterstützung zu leisten.

Die gegenwärtige Situation des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) stellt für die Bundesregierung eine komplexe Herausforderung dar. Sollte die Regierung zu dem Schluss kommen, dass der WSF in seiner derzeitigen Form verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf den Bundeshaushalt. Insbesondere müssten die bereits für das laufende Jahr bereitgestellten rund 32 Milliarden Euro aus anderen Finanzquellen gedeckt werden.

Eine zusätzliche Kreditaufnahme in dieser Größenordnung wäre unter den aktuellen Bedingungen problematisch. Die Annahme der Verfassungswidrigkeit des WSF würde implizieren, dass eine solche Kreditaufnahme gegen die Schuldenbremse verstößt. Gemäß Artikel 115 des Grundgesetzes ist eine Abweichung von der Schuldenbremse nur in Fällen von Notlagen gestattet. Anders als im Jahr 2022 hat der Gesetzgeber für das Jahr 2023 jedoch keine solche Notlage erklärt, wodurch die Bundesregierung aktuell an die Schuldenbremse gebunden ist.

Diese Konstellation stellt insbesondere für Bundesfinanzminister Christian Lindner eine Herausforderung dar. Er hatte bisher stets betont, im Jahr 2023 die Schuldenbremse einhalten zu wollen. Die mögliche Verfassungswidrigkeit des WSF und die damit verbundenen finanziellen Verpflichtungen könnten diese Absicht jedoch erschweren. Es bleibt abzuwarten, welche Lösungsansätze die Bundesregierung in dieser schwierigen Lage finden und umsetzen wird.

Die aktuelle finanzielle Herausforderung, die sich aus der möglichen Verfassungswidrigkeit des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ergibt, hat zu Überlegungen geführt, erneut eine Notlage auszurufen, um die Schuldenbremse für 2023 und 2024 umgehen zu können. SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken spricht sich für diesen Weg aus, um die anfallende Haushaltslücke von 32 Milliarden Euro zu schließen.

Kann die Erklärung der Notlage zur Lösung beitragen?

Staatsrechtler Alexander Thiele sieht in der Inanspruchnahme der Notlagenklausel eine mögliche Lösung. Er schlägt vor, die anhaltende Energie- und Wirtschaftskrise infolge des Angriffskrieges von Putin als Begründung heranzuziehen. Verfassungsrechtler Hanno Kube stimmt zu, dass dies derzeit der einzige realistische Ausweg zu sein scheint. Für die Umsetzung dieser Strategie müsste die Ampelkoalition bis Ende des Jahres einen Nachtragshaushalt verabschieden.

Allerdings ist die Erklärung einer Notlage nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts kein einfaches Unterfangen. Es bestehen hohe Anforderungen an die Begründung einer solchen Notlage. Die Bundesregierung muss genau erläutern und begründen, worin die Notlage besteht und wie sie mit den finanzierten Maßnahmen zusammenhängt. Diese Begründungspflicht stellt, laut Thiele und Kube, eine erhebliche Hürde dar. Die Bundesregierung steht somit vor der Aufgabe, die Notwendigkeit einer Abweichung von der Schuldenbremse durch eine detaillierte und überzeugende Argumentation zu rechtfertigen.

Falls die Ampelkoalition beschließt, die Notlagenklausel in Anspruch zu nehmen, könnte dies zu einer weiteren juristischen Auseinandersetzung führen. CDU-Chef Friedrich Merz hat bereits angedeutet, eine Überprüfung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) durch das Bundesverfassungsgericht in Betracht zu ziehen. Er argumentiert, dass die Kreditaufnahmen des Fonds nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechen.

Verfassungsrechtliche Bedenken seitens der Union

Die Unionsfraktion steht einem erneuten Aussetzen der Schuldenbremse für das Jahr 2023 kritisch gegenüber und sieht darin eine verfassungswidrige Handlung. Christian Haase, der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion, äußerte gegenüber dem Handelsblatt, dass das verfassungswidrige Vorgehen beim WSF nicht durch weiteres verfassungswidriges Verhalten korrigiert werden könne.

Diese Aussagen deuten auf eine mögliche rechtliche Konfrontation hin, sollte die Regierungskoalition die Notlagenklausel nutzen, um die Schuldenbremse für das Jahr 2023 zu umgehen. Eine solche Entscheidung könnte somit nicht nur politische, sondern auch rechtliche Folgen nach sich ziehen und das Bundesverfassungsgericht erneut in die Haushaltspolitik einbeziehen.

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