Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einem Grundsatzurteil festgestellt, dass die gegenwärtige Lohnsituation für inhaftierte Arbeitnehmer gegen das Resozialisierungsgebot verstößt. Derzeit erhalten diese Gefangenen in der Regel weniger als zwei Euro pro Stunde, eine Entlohnung, die das BVerfG als unzureichend erachtet, um die von den Ländern festgelegten Ziele der bezahlten Arbeit von Gefangenen, wie beispielsweise die Wiedergutmachung von Schäden oder Unterhaltszahlungen, zu erreichen.
Diese Entscheidung des BVerfG wurde aufgrund der Verfassungsbeschwerden von zwei Häftlingen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen gefällt, die sich gegen die geringe Vergütung ihrer Arbeit zur Wehr setzten. Sie arbeiteten jeweils in einer anstaltseigenen Druckerei und als Kabelzerleger in einem Betrieb.
Der Fall hat das BVerfG dazu veranlasst, sich erstmals seit zwei Jahrzehnten intensiv mit der Frage der angemessenen Vergütung von inhaftierten Arbeitnehmern auseinanderzusetzen. Die Verfassungsrichter aus Karlsruhe widmeten zwei Tage der detaillierten Untersuchung von Aspekten im Zusammenhang mit der Entlohnung von Gefangenen.
Das Resozialisierungsgebot, das bei Freiheitsstrafen eine besondere Rolle spielt, war der Hauptfaktor für die Entscheidung des BVerfG. Bei der Verhängung von Freiheitsstrafen wird das individuelle Leben weitgehend vom Staat bestimmt. Daher besteht die Aufgabe darin, den Gefangenen die Fähigkeit und den Willen zu vermitteln, ihr Leben nach der Entlassung wieder selbstständig zu führen.
Hierbei müssen d ie Länder in ihren Resozialisierungskonzepten konkrete Maßnahmen festlegen, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei muss neben der Maßnahme selbst, wie etwa der Arbeit der Häftlinge, auch das konkret angestrebte Ziel definiert werden.
In Bezug auf die Arbeit als Instrument der Resozialisierung betonte das BVerfG die Notwendigkeit einer angemessenen Anerkennung der Arbeit der Häftlinge. Diese Anerkennung muss nicht ausschließlich durch finanzielle Vorteile erfolgen, es könnten auch andere Maßnahmen wie eine Verkürzung der Haftzeit in Betracht gezogen werden. Wichtig ist, dass den Gefangenen der Wert regelmäßiger Arbeit verdeutlicht wird. Die Wahl des konkreten Modells, ob ein Nettolohn- oder ein Bruttolohnkonzept verfolgt wird, bei dem Teile des Lohns für Haftkosten oder zur Schuldenregulierung verwendet werden, liegt im Ermessen des Gesetzgebers, so das BVerfG.
Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) darauf hingewiesen, dass die Angemessenheit des Lohns für Gefangene von dem verfolgten Zweck abhängig ist. Laut Prof. Dr. Doris König, der Vorsitzenden des zweiten Senats, muss der Gesetzgeber den Zweck der Arbeitsvergütung festlegen und diese sollte ausreichend sein, um den Zweck zu erfüllen. Dabei gibt es verschiedene Kriterien, die zur Bestimmung des Gehalts herangezogen werden können, einschließlich der Vergütung vergleichbarer Tätigkeiten auf dem freien Markt und der Vermeidung von zu großen Einkommensunterschieden zwischen den Gefangenen.
Diesbezüglich stellte das BVerfG in aller Deutlichkeit fest, dass die Resozialisierungskonzepte der Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen diesen Anforderungen nicht genügen. Die Hauptziele dieser Konzepte sind Opferschutz und Unterstützung bei Unterhaltszahlungen, jedoch ist es unwahrscheinlich, dass diese Ziele bei der aktuellen Vergütung erreichbar sind. Zudem ist es für die Richter in Karlsruhe unverständlich, wie die Gefangenen die gesetzlich vorgesehenen Beiträge zu Gesundheitsleistungen oder Suchtmitteltests erbringen sollen, ohne eine Lohnerhöhung.
Das BVerfG kritisiert auch, dass die Länder bisher nicht ausreichend die Auswirkungen der Arbeit im Vollzug und deren Vergütung evaluiert haben. Sie weisen darauf hin, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen und bei Bedarf Anpassungen vorzunehmen. Aufgrund dieser Mängel wurden die entsprechenden Vorschriften zur Gefangenenvergütung für verfassungswidrig erklärt, sie bleiben jedoch bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, spätestens bis zum 30. Juni 2025, anwendbar.
Als Reaktion auf dieses Urteil wird eine erhebliche Erhöhung der Gefangenenvergütung erwartet. Die Gefangenengewerkschaft hofft auf eine Vergütung von etwa fünf bis sieben Euro pro Stunde, und der Deutsche Anwaltverein (DAV) stimmt zu, dass eine Anhebung notwendig ist. Für eine erfolgreiche Resozialisierung sei mehr als ein Taschengeld erforderlich, sagt Rechtsanwalt Swen Walentowski, Leiter Politische Kommunikation und Medien des DAV. Der DAV schlägt vor, eine Expertenkommission einzurichten, um eine angemessene Vergütung zu bestimmen und die Gefangenen vor finanziellen Schwierigkeiten zu schützen.
In Thüringen wurden nach der Kritik des BVerfG die eigenen gesetzlichen Regelungen zur Gefangenenvergütung überprüft. Karola Stange, Landtagsabgeordnete der Linken und Mitglied der Strafvollzugskommission im Landtag, stellte fest, dass die eigenen Vorschriften denen aus Bayern und Nordrhein-Westfalen sehr ähnlich sind und dass entsprechende Änderungen vorgenommen werden müssen, um den Bestimmungen des BVerfG zu entsprechen.